Weekly - Ist die Schweiz bereit für Selbständigkeit 4.0?

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Ist die Schweiz bereit für Selbständigkeit 4.0?

Von Hitzestau - 13.05.2016

Ein Bekannter von uns war kürzlich in San Francisco und schwärmte von den günstigen Fahrten mit Uber – für wenige Dollar schnell und bequem durch die Stadt. Als wir mit ihm zusammen letzte Woche in einem Basler Restaurant sassen, zeigte er uns die Uber App und wie man den Fahrpreis im Voraus berechnen kann. Die Fahrt zurück ins Hotel kostete rund 7 Franken. Mit dem Taxi hätten allein schon Grundtaxe und Bestellzuschlag 9.30 Franken ausgemacht – also schon teurer ohne auch nur einen Meter gefahren zu sein.

Sich bei Uber als Fahrer anmelden. Quelle: uber.com

Ausbeutung? Keine staatliche Lizenz? Angriff auf gewerkschaftliche und lobbyistische Strukturen, die gesetzlich zu zementiert sind? Man mag von Diensten wie Uber oder airbnb halten was man will, aber abgesehen davon, dass etablierte Dienstleister um ihre lange als sicher geglaubten Pfründe fürchten, zeigen solche Dienste auch auf, dass die Schweiz für solche neuen Dienstleistungs- und Erwerbsmodelle nicht bereit ist, bzw. diese sogar aktiv bekämpft. Ist dies gut? Verpassen wir den Anschluss an die Zukunft oder gefährden Uber und Co. den Schweizer Sozialstaat?

Industrie 1.0.
Quelle: Shutterstock

Vermittlungsplattformen wie Uber sind Teil einer grossen Umwälzung in der Arbeitswelt, vielerorts werden Begriffe wie "Vierte industrielle Revolution" oder "Industrie 4.0" verwendet. Sie stehen für eine Verzahnung von industrieller Produktion und Dienstleistungen mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Viele traditionelle Jobs werden durch Automatisierung und selbständig Arbeitende intelligente Systeme verloren gehen. Vordenker wie der WEF-Gründer Klaus Schwab sehen hier aber auch Chancen für den einzelnen Arbeitnehmer. Schwab ist klar, dass viele uns vertraute Strukturen in der Arbeitswelt daran sind, sich zu verändern. In einem Interview sagte er:

Jeder Einzelne muss bereit sein, sich ständig weiterzubilden. Und der Staat soll Strukturen schaffen, die allen ein unternehmerisches Verhalten ermöglichen. Die Zukunft gehört nicht den grossen, sondern den eigenen Firmen.

Jeder soll also ein eigener Unternehmer sein. Um an Kunden und Aufträge zu gelangen, muss man sich Vermittlungs- und Netzwerkplattformen anschliessen, um überhaupt eine Chance zu haben. Doch für Schweizer Behörden hört dann der Spass auf, Enthusiasmus und Eigeninitiative sind gut –aber in der Schweiz haben wir unsere Vorschriften und Verordnungen!

Bei Uber dreht sich aktuell die Diskussion darum, ob Uber-Fahrer Angestellte der Plattform sind oder selbstständig Erwerbende. Für die Schweizer Unfallversicherung SUVA ist der Fall klar: Die Fahrer sind Angestellte von Uber, deshalb muss Uber den Pflichten als Arbeitsgeber nachkommen und Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Es mag sein, dass die aktuellen gesetzlichen Vorschriften so auszulegen sind – aber man spürt auch keine Bereitschaft auf Seiten von Politik oder Gewerkschaften diese weiterzuentwickeln und an neue Arbeitsmodelle anzupassen.

Noch schwieriger hat man es in der Schweiz, wenn man auf dem klassischen Weg selbständig Erwerbend sein will. Ob man selbständig ist, ergibt sich nicht durch das Ergreifen von Eigeninitiative und dem Anbieten von Leistungen unter dem eigenen Namen – nein, es ist die Schweizer AHV, welche dies entscheidet. Ihre Entscheidung hat Folgen dafür, wie man dann Rentenbeiträge und andere Sozialversicherungen entrichten muss. Wühlt man sich durch alle Bestimmungen durch, vergeht einem so ziemlich schnell die Lust an der eigenen Geschäftsidee.

Quelle: Shutterstock

Gesellschaft, Medien und Politik fordern, dass Jeder und Jede "produktiv" etwas zum "Erfolgsmodell Schweiz" beiträgt und seinen Lebensunterhalt selber erwirtschaftet. Der Druck auf Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und IV-Rentner steigt. Angesichts dem Berg an bürokratischen Vorschriften und der Weigerung neue Erwerbs-Modelle zuzulassen, wird es aber vielen Leuten sehr schwer gemacht. Warum nicht das eigene Auto nach Feierabend für einen Zusatzverdienst nutzen? Oder sich als kreatives Talent vermarkten? Die Einstiegshürden sind hoch in der Schweiz: Anstatt Eigeninitiative zu fördern, geht es zuerst um Rentenbeiträge. Viele Tätigkeiten sind durch eine Verquickung von gesetzlichen Vorschriften und alteingesessenen Branchenverbänden derart mit einer Mauer umgeben, dass man als Quereinsteiger keine Chance hat, einen Fuss in die Tür zu kriegen. Im Gegenteil, man wird bekämpft und in der Qualität diskreditiert: airbnb-Vermieter verfügten über kein Sicherheitskonzept im Brandfall oder Blogger seien keine Medienschaffenden, da sie sich nicht an die Grundsätze der journalistischen Ethik halten würden.

Plattform Thumbtack, das Job-Center der Zukunft. Quelle: thumbtack.com

Gerade heute, wo immer mehr erfahrene und qualifizierte Arbeitnehmer schon vor dem 50. Geburtstag von ihren Arbeitgebern vor die Tür gestellt werden und es für sie schwer ist, eine neue Stelle zu finden, lässt die Schweiz viel wirtschaftliches Potential lieber regelrecht versauern. Oder warum muss ein ehemaliger Marketing-Leiter mit 55 Jahren Velos an einem geschützten Arbeitsplatz zusammenflicken? So wirklich Sinn macht das weder für ihn noch für die Wirtschaftswelt, wo er alleine oder im Netzwerk mit anderen sicher einiges zu bieten hätte. Aber eben, wer einmal beim RAV oder bei der Sozialhilfe gelandet ist, hat keinen Spielraum mehr sich etwas Neues aufzubauen. Im Gegenteil, seit diesem Jahr braucht man in gewissen Schweizer Städten sogar die Bewilligung der Sozialbehörden, um Eigeninitiative zu entwickeln.

Quelle: Shutterstock

Soweit sind wir also schon gekommen – aber Hauptsache Vorschriften werden eingehalten. Verschliesst sich die Schweiz weiterhin neuen Arbeits- und Erwerbsmodellen, wird sie noch an ihren Vorschriften ersticken – das "Erfolgsmodell" findet dann woanders statt.