Review - Nokia 9 PureView im Test

Review

Nokia 9 PureView im Test

Von Hitzestau - 22.08.2019

Das Nokia 9 PureView will die Smartphone-Fotografie mit seinen fünf Kameras auf der Rückseihe auf einen neuen Level bringen. In diesem Review schauen wir uns an, ob dies gelungen ist.

Heute kommt kein Smartphones mehr auf den Markt, welches nicht über mehrere Kamera verfügt. Das Nokia 9 PureView bietet auf der Rückseite sogar ein System mit fünf Linsen. Grund genug für uns, unsere eigenen Erfahrungen damit zu machen. Wir konzentrieren uns in diesem Review deshalb auf unsere Erfahrungen mit der Kamera, gehen aber auch andere Aspekte des Geräts ein wie beispielsweise das Pure Android oder Haptik, Verarbeitung und Performance im Alltag.

Zu allererst wollen wir jedoch der Frage nachgehen was mit der Marke “Nokia” in den letzten Jahren alles geschehen ist und erklären, warum die Nokia-Smartphones von heute nicht mehr von demselben Unternehmen hergestellt werden wie damals.

Was geschah mit "Nokia"?

Nokia ist wieder da! Oder genauer gesagt: die Smartphones der Marke "Nokia". Das Nokia 9 PureView hat, genauso wie anderen neuen Modelle die kürzlich erschienen sind, jedoch nichts mehr mit den Nokia-Geräten der Vergangenheit zu tun.

Vor der Lancierung des iPhone durch Apple im Jahre 2007 war die Welt für Nokia in Ordnung gewesen. Längst hatte sich der Konzern vom Papier- und Gummi-Produzenten zu einem Technologie-Unternehmen gewandelt. Über ein Jahrzehnt hatte Nokia seine Stellung als weltgrösster Mobilfunk-Hersteller gehalten. Doch die Finnen verpassten den Wandel des Smartphones vom Nischenprodukt zum Massenmarkt. Ihr eigenes Betriebssystem Symbian liess sich nicht nach der Bedürfnissen der Smartphone-Benutzer weiterentwickeln.

Eine Allianz mit Microsoft sollte die Wende bringen. Nokia rüstete seine Smartphones mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows Phone aus. Das Lumia 800 war das erste Smartphone von Nokia mit Windows Phone, welches im Oktober 2011 vorgestellt wurde. Im November 2013 verkaufte Nokia seine gesamte Mobiltelefon-Sparte an Microsoft und konzentrierte sich selber auf Netzwerklösungen und Kartendienste. Microsoft gelang es jedoch nicht, rund um Windows Phone ein Öko-System mit Apps von Drittanbietern aufzubauen, wie man es von iOS oder Android her kannte. Die Marktanteile verharrten bei niedrigen einstelligen Prozent-Werten. Das allerletzte Lumia-Gerät, das "Microsoft Lumia 650" mit Windows 10 Mobile, kam im Februar 2016 in den Handel. Und noch im selben Jahr gab Microsoft bekannt, ab sofort keine eigenen Smartphones mehr zu produzieren.

Für den Namen "Nokia" ging es dann Schlag auf Schlag. Die Markenrechte für die Produktion von Mobilgeräten gingen an das neu gegründete Unternehmen HMD Global, welches ebenfalls in Finnland beheimatet ist und von ehemaligen Nokia-Managern gegründet worden war. HMD Global wählte für die Produktion, den Verkauf und den Vertrieb der neuen Nokia-Geräte das taiwanesische Unternehmen Foxconn als Auftragsfertiger. Nokia selbst konzentriert sich heute weiterhin auf sein Geschäft mit Netzwerk-Lösungen, der Ausflug in den Gesundheitssektor mit Produkten wie Blutdurchmessgeräten, Fitness-Trackern oder Körperfettwaagen war nur von kurzer Dauer.

Das erste "neue" Nokia-Telefon, das Nokia 150, war ein so genanntes Feature Phone und wurde im Dezember 2016 angekündigt. Im Januar 2017 folgte dann das erste Smartphone mit Android als Betriebssystem.

Nokia 9 PureView

Nun aber zurück in Gegenwart zum Nokia 9 PureView. Bevor wir vertieft auf das Thema Fotografieren zu sprechen kommen, wollen wir zunächst die Hardware des Gerät vorstellen.

Quelle: HMD Global

Gehäuse-Design

Beim Gehäuse setzt HMD Global auf ein klassisches Smartphone-Design: Das Display ist durchgängig flach und wird von klaren Gehäuse-Rändern umschlossen. Der Rahmen, der rund um das Gerät herum verläuft, besteht aus Alu. Das Glas auf der Frontseite, welches das Display schützt, ist ein Corning Gorilla Glass.

Quelle: HMD Global

So etwas wie eine Notch oder eine sichtbar ins Display integrierte Front-Kamera kennt das Nokia 9 nicht. Der obere Rand ist breit genug gestaltet, um alle Komponenten aufnehmen zu können. Die Rückseite ist an den Rändern leicht gewölbt und ebenfalls durch ein Glas geschützt. Alle Übergänge zwischen Glas und Metall fühlen sich sehr abgerundet an, wirklich scharfe Kanten sucht man vergeblich. Die fünf Kamera-Linsen sowie der Blitz und der Infrarotsensor sind komplett ins Gehäuse integriert und stehen nicht hervor. Die Linsen werden vom bekannten Hersteller Zeiss geliefert.

Quelle: HMD Global

Alle für die Bedienung notwendigen Knöpfe sind im rechten Rahmen untergebracht: die Lautstärke-Wippe sowie der Ein- Ausschalt-Kopf. Der Fingerprint-Scanner ist direkt ins Display integriert. Der USB-C Anschluss ist wie üblich unten angebracht, auf einen 3.5mm-Kopfhöreranschluss hat HMD Global verzichtet. Im Lieferumfang befindet sich ein entsprechender Adapter um 3.5mm-Kopfhörer anzuschliessen.

Quelle: HMD Global

Display

Das Nokia 9 PureView verfügt über ein 6-Zoll Display mit einer Auflösung von 2880 x 1440 Pixel. Das Seitenverhältnis beträgt somit 18:9, die Pixeldichte liegt bei 536 ppi. Es unterstützt HDR10. Als Technologie kommt P-OLED zum Einsatz. Es handelt sich um die von vielen Smartphone-Herstellern verbaute OLED-Technik. Das "P" in der Abkürzung steht dafür, dass manche Bauteile des Displays aus Kunststoff und nicht aus Glas gefertigt sind.

Technische Spezifikationen

Die Rechenleistung des Nokia 9 kommt von einem Snapdragon 845-Prozessor mit acht Kernen. Ihm stehen 6 GB Arbeitsspeicher zur Seite. Der interne Gerätespeicher umfasst 128 GB und kann nicht mit einer microSD-Karte erweitert werden.

  • Grösse: 155 x 75 x 8 mm mm
  • Gewicht: 172 g
  • Display: 6.0 Zoll P-OLED / 2880x1440 / Pixeldichte 536 ppi
  • Prozessor: Qualcomm SDM845 Snapdragon 845 Octa Core
  • Arbeitsspeicher: 6 GB
  • Interner Speicher: 128 GB
  • Akku: 3320 mAh / Lithium-Ionen
  • Anschlüsse: USB-C / NFC / Bluetooth 5.0
  • Netz: 2G / 3G / 4G (LTE)
  • WLAN: 802.11 a/b/g/n/ac (2,4G+5GHz)
  • Hauptkamera: 12 MP, f/1.8, 28mm, 5 Linsen
  • Video (Hauptkamera): max. 4K 3840x2160 / 30fps
  • Frontkamera: 20 MP
  • SIM-Karte: Nano-SIM
  • Betriebssystem: Android 9 Pie

Alltagserlebnis

Bevor wir im nächsten Kapitel auf das Kamera-System und das Fotografieren damit eingehen, wollen wir hier unsere Erfahrungen mit dem Nokia 9 im Alltag vorstellen. Dass heisst, es geht um Aspekte von Bedienung und Interaktion, das Betriebssystem, den Akku und abschliessend um Klangqualität und Multimedia-Features.

Bedienung und Interaktion

Wenn man das Smartphone hochhebt, reagiert das Display und zeigt die Uhrzeit sowie den Fingerprint an um es zu entsperren.

Bleiben wir gerade noch beim Thema Entsperren: Hier bietet das Nokia 9 verschiedene Varianten. Neben der PIN-Eingabe stehen eine Gesichtserkennung und ein Fingerprint zur Verfügung. Der Fingerprint-Sensor ist direkt ins Display integriert. Wenn man den gespeicherten Finger auf die markierte Stelle auf dem Display legt, reagiert der Sensor manchmal sehr schnell, oft kam es bei unserem Test jedoch zu Fehlinterpretationen und Fehlermeldungen wie "stärker drücken" oder "Finger zu schnell bewegt". Auch die Gesichtserkennung hat sich bei uns nicht als sehr zuverlässig erwiesen. Beide biometrischen Systeme machen beim Nokia 9 das Entsperren nicht zügig und einfach, sondern haben sich im Alltag als Bremsen und somit als nicht alltagstauglich herausgestellt. Es gibt für die Interaktion mit einem Smartphone nichts frustrierendes, als wenn nur schon das Entsperren nicht sauber klappt.

Die äussere Verarbeitung des Nokia 9 ist hingegen tadellos. Es ist gemäss Zertifikat IP67 gegen Wasser und Staub geschützt - wobei wir das in der Praxis nicht getestet haben.

Die Rückseite fühlt sich etwas plastifiziert an und ist ein Anziehungspunkt für Fingerabdrücke. Wenn man das Gerät in den Händen hält, bietet es gesamthaft gesehen eine sehr angenehme Haptik. Auch zum Fotografieren, wenn man es hauptsächlich mit den Fingerspitzen am Rahmen festhält, hat man nicht den Eindruck, es würde gleich herunterfallen.

Mit den üblichen Apps bietet das Nokia 9 ein sehr flüssiges Erlebnis, beim Surfen laden die Webseiten sehr schnell, wobei das natürlich immer auch abhängig von der Mobilfunkverbindung oder dem WLAN ist.

Farbe, Kontrast und Helligkeit des Display lassen sich zwar mit den vier in den Geräteeinstellungen vordefinierten Settings (Dynamisch, Vivid, Kino, Basic) anpassen, aber grundsätzlich hat das Display des Nokia 9 einen Hang hin zu einer kühlen Farbdarstellung die auch schnell mal blaustichig wirken kann.

Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass man die Helligkeit sehr hoch einstellen muss, um genügend Kontrast zu erzielen. Zum Lesen von Texten kann das dann schon in eine unangenehme Helligkeit kippen. Mit rund 536ppi ist die Darstellung von Texten aber auch sehr scharf.

Pure Android "Android One"

Ausgeliefert wird das Nokia 9 PureView mit Android 9 "Pie" als Betriebssystem. Im Gegensatz zu vielen anderen Herstellern von Android-Geräten verzichtet HMD Global auf eine eigene Benutzeroberfläche oder eigene Erweiterungen zur Android-Software. Das Nokia 9 gehört zur Reihe der "Android One"-Geräte. Sie verwenden genau die Android-Version, wie sie von Google herausgegeben wird.

Im Alltag bringt das einige Vorteile: So sind nur die Google-eigenen Apps vorinstalliert und keine Bloatware oder Testversionen von Apps, die man eigentlich gar nicht haben möchte. Zudem erhält man zwei Jahre lang Updates auf die aktuelle Version des Betriebssystems und monatliche Sicherheitsupdates für mindestens drei Jahre. Zudem ist der digitale Google-Assistent "Ok Google" Teil des Benutzererlebnisses.

Wer bisher Android-Geräte benutzt hat, deren Hersteller eine eigene Benutzer-Oberfläche installiert haben, müssen sich etwas umgewöhnen, sollten aber relativ schnell zurecht kommen.

Akku und Laden

Der Akku verfügt über eine Kapazität von 3320 mAh. Nach unserer Erfahrung baut er recht gut ab über den Tag hinweg, vor allem wenn man das Display auf eine Helligkeit von rund 80 % eingestellt hat. Es ist aber auch sehr komfortabel, das Nokia 9 wieder nachzuladen: Es unterstützt sowohl Schnellladen via Netzteil und Ladekabel sowie auch kabellos.

Das Betriebssystem unterstützt den Benutzer beim Energiesparen im Alltag, indem es die Hintergrund-Aktivitäten der wichtigsten Apps überwacht und gegebenenfalls reguliert.

Sound

Für die Tonwiedergabe steht dem Nokia 9 nur ein Lautsprecher am unteren Rand zur Verfügung. Dieser hat die Tendenz etwas dumpf zu tönen. Einen erheblich besseren Klang liefert bereits das Headset, welches im Lieferumfang mit dabei ist, ein passender Adapter für den USB-C-Anschluss liegt ebenfalls bei. Wer mit dem Nokia 9 Musik hören oder Videos schauen will, dem empfehlen wir ein kabelloses Bluetooth-Headset zu verwenden.

Nokia 9 PureView als Kamera

In diesem Kapitel gehen wir nun vertieft auf die Eigenschaften des Kamera-Systems des Nokia 9 PureView ein.

Dieses verfolgt einen etwas anderen Ansatz als andere Smartphones mit einem Mehrfachkamera-System. Das Gerät besitzt insgesamt fünf Kameras auf der Rückseite. Die Unterschiede zu anderen Smartphones haben hauptsächlich mit der Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Kamera zu tun. Zudem kommt Google Photos als Galerie und als Tool zur Nachbearbeitung ein höherer Stellenwert zu als man es von anderen Smartphones gewohnt ist. Alle gemachten Bilder werden in Google Photos gespeichert und können in die Cloud hochgeladen werden.

Während andere Hersteller ihre Smartphones mit unterschiedlichen Brennweiten für Ultra-Weitwinkel, Weitwinkel und Tele ausstatten, haben beim Nokia 9 alle 5 Kameras die gleiche Brennweite, nämlich das "normale" Weitwinkel wie man es seit Jahren von Smartphones her als Standard kennt. Auch jeder der fünf Chips hat eine Auflösung von 12 Megapixel. Wenn man eine Aufnahme macht, zeichnen alle 5 Kamera gleichzeitig mehrere Bilder von demselben Bildausschnitt und Motiv auf.

Die Bilder unterscheiden sich in den Einstellungen wie etwa der Belichtungszeit. Drei der fünf Kameras nehmen sogar dabei nur Schwarz/Weiss-Bilder auf, aber auch diese Informationen fliessen in farbige Aufnahmen mit ein. Ebenfalls während der Aufnahme werden Informationen für unterschiedliche Tiefenebenen aufgezeichnet. Aus all den einzelnen Bildern und gesammelten Informationen setzt die Kamera-Software schlussendlich ein fertiges Bild zusammen und speichert dies in Google Photos ab. Da jedes Bild aus unterschiedlichen Einzel-Aufnahmen mit verschiedener Belichtung zusammengesetzt wird, ergibt sich ein permanenter HDR-Effekt (High Dynamic Range), der sich nicht ausschalten lässt.

Als Dateiformate stehen JPG und DNG (RAW-Bilder) zur Verfügung, wobei manche Aufnahme-Modi nur JPG zulassen. Bei Videoaufnahmen wird hingegen nur die mittlere Linse verwendet.

Da alle Kamera-Linsen über die identische Brennweite verfügen, wird das "näher heranzoomen" über ein reines Digital-Zoom, also die Vergrösserung eines Bildausschnitts, gelöst. In der Kamera-App, auf die wir gleich noch im Detail eingehen werden, stehen drei Zoom-Stufen zur Auswahl: 1x / 2x / 5x.

Interface der App

Auch wenn man schon mit Smartphone-Kameras fotografiert hat, lohnt es sich beim Nokia 9 zuerst die wichtigsten Einstellmöglichkeiten in der Kamera-App durchzugehen. So sieht die Kamera im Foto-Modus aus:

Von den Icons am linken Rand sollte man sich "Verschönern" und "Tiefe" näher anschauen, da die Einstellungen Auswirkungen darauf haben, wie die Bilder abgespeichert oder nachbearbeitet werden können.

  • Verschönern (ein/aus): Dies ist eine automatische Bildoptimierung, welche von internen Algorithmen durchgeführt wird. Wenn sie aktiv ist, kann die Kamera nur noch Bilder im JPG-Format aufnehmen.
  • Tiefe (ein/aus): Damit wird die Aufzeichnung der Tiefen-Informationen gesteuert. Die nachträgliche Anpassung der Tiefenschärfe in Google Photos ist jedoch nur beim JGP möglich. Das RAW wird zwar auch abgespeichert, aber bei ihm kann die Tiefenschärfe nicht verändert werden.

Ebenfalls vom linken Rand aus hat man Zugriff auf den Assistenten Google Lens. Damit lassen sich Funktionen nutzen wie Texte einscannen und kopieren, Barcodes erkennen oder zusätzliche Informationen zu fotografierten Objekten aus dem Web abrufen.

Die Kamera-App bietet verschiedene Aufnahme-Modi an:

  • Aufnahme-Modi Foto: Foto / Pro / Bokeh / Monochrome / Panorama / Quadrat
  • Aufnahme-Modi Video: Video / Zeitlupe / Zeitraffer

Die Reihenfolge der Anzeige in der App kann in den Kamera-Einstellungen angepasst werden. Einzelne Modi lassen sich auch komplett ausblenden. Je nachdem welchen Aufnahme-Modus man ausgewählt hat, bekommt man ein anderes Einstellungs-Menü angezeigt. Es gibt ein Set von Einstellungen für alle Foto-Modi und ein zweites für die drei Video-Modi. Als Beispiel zeigen wir Euch hier rechts die Einstellungen, welche für alle sechs Foto-Modi gelten.

Der Blick in die jeweiligen Einstellungen zeigt auch, mit welcher Auflösung, die Kameras maximal aufnehmen können:

  • Foto (Rückseite): 12 MP, 4032 x 3016
  • Foto (Front): 20 MP
  • Video (Front- und Rückseite): 4K, 3840 x 2160

Fotos machen

Wenden wir uns nun unseren selbstgemachten Testaufnahmen zu. Wir konzentrierten uns dabei auf die verschiedenen Aufnahme-Möglichkeiten, die für Fotos zur Verfügung stehen. Video-Aufnahmen haben wir bei unserem Test keine gemacht.

Den Pro-Modus der Kamera-App, der das manuelle Einstellen von Weissabgleich, ISO-Empfindlichkeit und Belichtungs-Zeit erlaubt, haben wir natürlich auch getestet. Da die App in diesem Modus unter einer sehr nervösen Touch-Bedienung und sogar unmotivierten Abstürzen leidet, verzichten wir im folgenden auf Testbilder aus dem Pro-Modus.

Weitwinkel bei Sonnenschein

Schauen wir uns zuerst ein paar normale Weitwinkel-Aufnahmen an. Alle gezeigten Bilder sind das JPG, wie es vom Nokia 9 zusammengesetzt wurde. Bei Sonnenschein liefert das Nokia 9 die besten Resultate. Da die HDR-Funktion immer aktiv ist, schafft es einen sehr guten Ausgleich zwischen hellen und schattigen Bereichen im selben Bild.

Flächen mit feinen Strukturen, wie etwa die Bäume in den Bildern, haben jedoch die Tendenz "matschig" zu wirken. Kanten erscheinen je nach Motiv etwas überzeichnet. Wir werden im Kapitel DNG vs JPG nochmals darauf zu sprechen kommen.

Schwierige Lichtverhältnisse

Bei schwierigen Lichtverhältnissen, also hauptsächlich im Schatten, hellt das Nokia 9 wie viele andere Smartphone-Kameras recht stark auf und verfälscht so den ursprünglichen Eindruck der Szenerie vom Moment der Aufnahme. Auch hier sind alle gezeigten Bilder JPG.

Das folgende Bild ist bezüglich der HDR-Leistung der Kamera schon aussergewöhnlich. Der Gang, in dem das Bild aufgenommen wurde, war sehr dunkel. Trotzdem schafft es das Nokia 9, die Graffiti an den Wänden sichtbar zu machen ohne den Eindruck von realen Lichtverhältnissen zu zerstören. Gleichzeitig werden die Landschaft im Hintergrund und der Himmel nicht übertrieben hell oder sogar überbelichtet wiedergegeben. Hier muss man dem Nokia 9 mal ein dickes Lob aussprechen.

Zoomen

Alle bisher gezeigten Bilder haben wir mit der Weitwinkel-Brennweite gemacht wie sie der Linse entspricht. Wie bereits im Einstieg zum Kamera-Kapitel erklärt, löst das Nokia 9 das Heranzoomen mit einem reinen digitalen Zoom.

In diesen Stufen arbeitet das digitale Zoom:

  • 1x (entspricht 27 mm Kleinbild). Wird mit Auflösung 4032 x 3016 gespeichert.
  • 2x (entspricht 54 mm Kleinbild). Wird mit Auflösung 4032 x 3016 gespeichert.
  • 5x (entspricht 128 mm Kleinbild). Wird mit Auflösung 1613 x 1206 gespeichert.

Bei den Vergleichsbildern unten sieht man vor allem dem jeweils dritten Bild deutlich an, dass es nur eine Ausschnittvergrösserung ist. Nur schon auf dem Smartphone-Display selber betrachtet, ist die Bildqualität sehr schlecht. Zudem ist beim Fotografieren mit 5x-Zoom nur sehr schwer möglich, das Smartphone ruhig halten um Bildausschnitt zu kontrollieren.

Weitwinkel (1x)
2x Zoom
5x Zoom
Weitwinkel (1x)
2x Zoom
5x Zoom

Panorama

Panorama-Aufnahmen sind wie von anderen Smartphones gewohnt ebenfalls ein separater Aufnahme-Modus in der Kamera-App. Dem Nokia 9 gelingt es sehr gut, die einzelnen Teilbilder von links nach rechts zu einem grossen ganzen zusammenzusetzen. Man erkennt keine störenden Streifen, die im Bild von oben nach unten verlaufen.

Hitzeentwicklung und Performance

Während unseren Foto-Ausflügen mit dem Nokia 9 ist uns jedesmal aufgefallen, dass das Gerät unangenehm heiss wird. Zudem wird die gesamte Benutzung der Kamera-App oder von Google Photos, wenn man die gemachten Aufnahmen anschauen will, extrem träge. Nur schon der Wechsel des Aufnahmemodus kann mehrere Sekunden dauern. Ständig erscheint auf dem Display der Hinweis "Bilder in Verarbeitung" und das ganze Gerät wird komplett ausgebremst.

Beobachtung

Bei manchen Bildern, die wir mit dem Nokia 9 gemacht haben, wurden falsche EXIF-Informationen beim Abspeichern hinterlegt. Gemerkt haben wir das erst, als wir die gemachten Bilder in die Desktop-Version von Adobe Lightroom importiert haben. Die angegebene Brennweite von 128mm entsprach unmöglich der tatsächlichen Aufnahme. Im Alltag mag dies keine grosse Bedeutung haben, wenn man die Bilder einfach auf dem Display anschaut. Unter Umständen kann dies aber Auswirkungen auf Korrektur-Algorithmen in einer Bildbearbeitungs-Software haben, die dann von falschen Informationen ausgeht.

Bearbeitung

Das Fotoerlebnis mit dem Nokia 9 ist dem Drücken des Auslösers nicht vorbei. Wir wollen in diesem Kapitel erstens auf die Smartphone-interne Bearbeitung durch den Bildprozessor eingehen und vergleichen dafür die unbearbeiteten RAW-Aufnahmen mit dem jeweiligen JPG. Zweitens gehen wir näher auf die nachträgliche Anpassung der Tiefenschärfe in Google Photos ein.

Interne Bearbeitung DNG zu JPG

Neben RAW-Bild und JPG zeigen wir in den folgenden Vergleichen noch das von uns selber in Adobe Lightroom nachbearbeitete Bild. Wer selber mit dem Nokia 9 aufgenommene RAW-Bilder nachbearbeiten will, muss allerdings wissen, dass dann Informationen zu Tiefe-Ebenen oder HDR nicht zur Verfügung stehen. Neben den Farbaufnahmen haben wir auch ein Schwarz-Weiss-Motiv für unseren Vergleich hinzugezogen. Das Nokia 9 hat in der Kamera-App den so genannten "Monochrom-Modus", der die RAW-Bilder auch wirklich in Schwarz/Weiss speichert.

Original DNG
JPG aus der Kamera
Unsere Nachbearbeitung
Original DNG
JPG aus der Kamera
Unsere Nachbearbeitung
Original DNG
JPG aus der Kamera
Unsere Nachbearbeitung
Original DNG
JPG aus der Kamera
Unsere Nachbearbeitung

Bei unserer eigenen Bearbeitung haben wir uns am realen Eindruck der Szene im Moment der Aufnahme orientiert. Dieser kommt in den vom Nokia 9 selber erzeugten JPG’s oft nicht so wirklich rüber. Auch haben wir versucht, Überzeichnungen zu vermeiden, wie man sie in den JPG-Versionen vom Nokia 9 entlang von Kanten immer wieder gut erkennen kann. Beim zweiten Vergleichs-Motiv mag unsere Bearbeitung etwas überbelichtet aussehen, aber die Sonne war an diesem Ort in der Tat sehr hell. Zudem ist es im Gegensatz zur Version des Bildprozessors auch ein Bild ohne HDR-Effekte.

Ab in die Tiefe

Wie bereits gesagt, kommt Google Photos eine zentrale Bedeutung in der Nachbearbeitung der Bilder zu. Hier stehen dem Anwender Werkzeuge wie Filter oder Helligkeits- und Farbregler zur Verfügung.

Die Benutzung von Google Photos ist kostenlos. Bilder dürfen aktuell eine maximale Auflösung von 16 MP haben, Videos sind auf FullHD-Auflösung (1080p) begrenzt. Neben der mobilen App kann man auch via Browser vom Desktop-Rechner oder Notebook auf die Bilder zugreifen. Hochgeladen werden vom Nokia 9 sowohl die JPG- wie auch auch die DNG-Dateien, die mit rund 30 MB pro Bild natürlich auch für eine entsprechende Datenmenge sorgen. Die hochgeladenen Bilder werden in Alben organisiert und können nach Orten und Motiven durchsucht werden.

Tiefenschärfe anpassen

Das nachträgliche Spielen mit der Tiefenschärfe funktioniert beim Nokia 9 auf zwei verschiedene Arten. Dafür muss man aber vor der Aufnahme in der Kamera-App die richtigen Einstellungen wählen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann via die Icons am linken Rand die Funktion Tiefe ein- und ausschalten oder direkt in den Bokeh-Modus wechseln. Hierbei ist dann allerdings die Wahl des Zoom-Faktors nicht mehr möglich.

Wie die Nachbearbeitung eines Bildes in Google Photos konkret aussieht, zeigen wir hier anhand eines Bildes, bei dem die Tiefeninformationen aufgezeichnet wurden. Die Anpassung von Bildern, die im Bokeh-Modus aufgezeichnet wurden, ist genau gleich.

Der ganz linke Screenshot zeigt das unveränderte Bild. Durch Antippen mit dem Finger lässt sich der Schärfepunkt (markiert durch den Kreis) festlegen. Mit dem Regler unten kann man dann den Bereich der Schärfe vergrössern oder verkleinern.

Ein bearbeitetes Bild kann man dann als Kopie speichern, das Original bleibt immer erhalten. Hier sind in derselben Reihenfolge die drei Bilder, die wir oben punkto Schärfe angepasst haben.

Weitere Überlegungen dazu

Bei der Arbeit mit Google Photos ist uns aufgefallen, dass die mobile und die Desktop-Version im Browser von Google Photos nicht dieselbe Benutzererfahrung bieten. Insbesondere die Anpassung der Tiefenschärfe ist sehr proprietär auf die mobile App von Google Photos fixiert. Und ganz korrekt muss man diese Aussage noch weiter einschränken: sie ist auf die Android-Version der App beschränkt. Getestet haben wir dies unter anderem mit dem Samsung Galaxy S10e. Unter iOS kann man Bilder zwar bezüglich Helligkeit und Farbe bearbeiten, die Tiefenebene-Informationen stehen hier nicht zur Verfügung.

Für umfangreichere Nachbearbeitung der DNG-Dateien bieten sich zudem verschiedene RAW-Editoren wie beispielsweise Adobe Lightroom an. Dieser kann als App auf dem Nokia 9 oder als Desktop-Programm genutzt werden. Weder bei den JPG- noch bei den DNG-Dateien kann Lightroom dann allerdings auf die Tiefenebene-Informationen zugreifen.

Fazit

Das Fazit ist etwas länger geraten als üblich, aber es gibt nach unserer Erfahrung mit dem Nokia 9 und unserem ausführlichen Review immer noch einiges zu sagen.

Quelle: HMD Global

Beim Nokia 9 PureView haben uns Haptik, Design und Verarbeitung sehr gut fallen. Das Display ist zwar sehr hell, Farbdarstellung und Kontrast könnten aber besser sein. Zudem ist es sehr stromhungrig, vor allem wenn man es draussen beim Fotografieren auf maximale Helligkeit stellen muss, um in der hellen Sonne noch etwas zu erkennen. Mit der Wahl des Betriebssystem kann HMD Global ebenfalls punkten: Als Anwender bekommt man ein Pure Android in die Hand, ohne störende Bloatware und mit allen Features der aktuellen Android-Version aus dem Hause Google. Zudem sind zwei Jahre Software-Updates und sogar drei Jahre Sicherheits-Updates garantiert.

Nicht überzeugt hat uns hingegen die biometrische Entsperrung. Der ins Display integrierte Fingerprint-Scanner oder die Gesichtserkennung sind im Alltag eher Bremsen, als das sie das Entsperren zügig und einfach machen. Zu oft haben sie bei uns im Test erst nach mehreren Anläufen oder überhaupt nicht funktioniert, so dass am Schluss nichts anderes als die PIN-Eingabe übrig blieb.

Und dort wo das Nokia 9 wirklich punkten will, nämlich beim Fotografieren, klaffen Anspruch und Wirklichkeit sehr krass auseinander. Das Gerät will ambitionierte Fotografen ansprechen, aber steht sich dabei selber im Weg: An Stelle von Linsen mit unterschiedlichen Brennweiten kommt nur ein Digital-Zoom mit Ausschnittvergrösserung zum Einsatz. Die nachträglich Anpassung des Schärfebereichs ist proprietär an die Android-Version der Google Photos-App gebunden. Und zudem wird das Gerät beim intensiven Fotografieren unangenehm heiss und sehr träge.

Gehen wir im folgenden etwas näher auf die einzelnen Punkte ein:

Heutzutage ist es Standard, in einem Smartphone Linsen mit unterschiedlichen Brennweiten zu verbauen, um dem Anwender mehr kreativen Gestaltungsraum zu geben. Eine digitale Ausschnittvergrösserung kann aber nie ein Ersatz für eine echte Telelinse sein. Mit einer Telebrennweite von 128mm schlägt das Nokia 9 zwar manche Kompakt-Kamera, aber was nützt das, wenn die Bildqualität nur als unbrauchbar bezeichnet werden kann?

Für die Nachbearbeitung der Bilder, wie zum Beispiel die nachträgliche Anpassung der Tiefenschärfe, setzt das Nokia 9 auf die mobile App von Google Photos. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen, nur muss man wissen, dass Google immer wieder mal Funktionen aus seinen Produkten streicht oder diese komplett einstellt. Man sollte einfach im Hinterkopf behalten, dass es passieren kann, dass man irgendwann die Bilder nicht mehr punkto Tiefenschärfe nachbearbeiten kann.

Wenn man wie wir die Kamera intensiv nutzt, kommt das Nokia 9 schnell an seine Grenzen: es wird unangenehm warm und das Benutzererlebnis mit der Kamera-App und dem gesamten System wird extrem träge. Das bedeutet unter anderem auch minutenlanges Warten, bis gemachte Aufnahmen endlich in der Galerie erscheinen (auch ohne Upload in die Cloud). Auch die Software-Updates, die seit der Markteinführung veröffentlicht wurden, haben hier keine Abhilfe geschaffen. Den genauen Grund für Hitzeentwicklung und Trägheit kennen wir nicht, aber die Kombination aus Bild-Prozessor und Software-Algorithmen scheint bei der "Computational Photography" deutlich an ihr Limit zu kommen.

So bleibt für uns ein sehr zwiespältiger Gesamteindruck vom Nokia 9 PureView zurück: Abgesehen vom biometrischen Entsperren macht es im normalen Alltag mit Surfen, Messaging oder Telefonieren einen guten Eindruck. Die in der Werbung versprochene Leistung als Smartphone-Kamera, die uns auch selber auf das Gerät neugierig gemacht hatte, kann es jedoch nicht erfüllen. Da scheint uns einfach zu vieles nicht zu Ende gedacht oder entwickelt zu sein. Mitbewerber im Markt machen auch mit weniger Kamera-Linsen auf der Rückseite zum Teil bessere Bilder.