Windows Phone ist tot, es lebe Windows 10

Windows Phone ist tot, es lebe Windows 10

Von Hitzestau - 08.03.2016

Eigentlich wollten wir an dieser Stell ein Review zum Lumia 950 veröffentlichen, welches wir in den letzten Wochen bei uns zum Alltags-Test hatten. Die Entwicklung von Windows Phone verfolgen wir seit dem Lumia 925, aber auf Grund unserer Eindrücke vom Lumia 950 haben wir uns entschieden, kein klassisches Review zu machen. Das ist uns nicht leicht gefallen. Wir werden im Text auch auf das Gerät eingehen, aber angesichts der Schwierigkeiten, in denen sich die Smartphone-Plattform von Microsoft befindet, gibt es auch andere Punkte auf die wir eingehen möchten.

Ist Windows Phone gescheitert?

Angesichts der Marktanteile von Windows Phone muss diese Frage gestattet sein. Gemäss IDC verteilen sich die globalen Marktanteile wie folgt:

  • Windows Phone: 1.6%
  • Android: 82.6%
  • iOS: 15.2%
  • Blackberry und andere: 0.6%

Die Verkäufe von Geräten mit Windows Phone waren bereits im vergangenen Jahr rückläufig und auch für das laufende Jahr wird ein weiterer Rückgang vorhergesagt. Aber auch insgesamt steht Windows Phone auf sehr dünnem Eis: Seit der Lancierung im Jahre 2011 wurden weltweit rund 110 Millionen Smartphones mit Windows Phone verkauft. Zum Vergleich, im gleichen Zeitraum wurden etwa 4.5 Milliarden iOS- und Android Geräte abgesetzt.

Von: solar22
Quelle: Shutterstock

"Windows Phone is dead" schreibt der US-Blog The Verge und hat damit nicht unrecht. Einer der grössten IT-Konzerne der Gegenwart und ein Marktanteil von 1.6%, das passt einfach nicht zusammen und kann auch Microsoft selber nicht zufrieden stellen. Windows Smartphones leiden an einigen grossen Baustellen, die im Laufe der letzten Jahre nie ausgemerzt wurden. Zudem hat man bei den Lumia-Geräten schrittweise mehrere Alleinstellungsmerkmale aufgegeben. Aktuell vermag weder das Betriebssystem noch die von Microsoft angebotene Hardware in Form vom Lumia 950 und Lumia 950 XL zu überzeugen.

Hardware-Strategie

Für den Smartphone-Markt hat Microsoft im vergangenen Herbst neue Lumia-Modelle lanciert, die beiden als Premium-Modelle positionierten Lumia 950 und 950 XL sowie das Einsteigermodell Lumia 550. Im Februar 2016 kam dann noch das Lumia 650 dazu. Zusammen mit diesen Geräten machte auch Windows 10 als Smartphone-Betriebssystem sein offizielles Debüt.

Mit der Lancierung der neuen Lumia 950 / 950 XL hat Microsoft sich sehr lange Zeit gelassen, dass letzte Top-Modell der Lumia-Reihe war das Lumia 930, welches im Frühjahr 2014 auf den Markt kam. Seitdem hat Microsoft unter dem Namen Lumia einige günstige Modelle auf den Markt gebracht und mit der Lancierung eines neuen Flaggschiffs den Start von Windows 10 abgewartet und die Windows Phone-Enthusiasten damit lange auf die Folter gespannt. Diese Strategie hat sicher nichts Positives für die die Wahrnehmung oder Akzeptanz von Windows Phone beitragen, wie wir schon letztes Jahr ausführlich unter die Lupe genommen haben. Anwender, die mit einem "Billig-Gerät" einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben, werden der Plattform kaum eine zweite Chance geben.

Quelle: Microsoft

Und dies sieht man den beiden Modellen Lumia 950 und 950 XL auch an. Zwar bezeichnet sie Microsoft als "Premium", aber diesen Anspruch können sie aus unserer Sicht nicht erfüllen. Schauen wir uns das Lumia 950 im nächsten Abschnitt etwas genauer an.

Lumia 950: Gerät – Design – Haptik

Das Gehäuse des Lumia 950 besteht aus Kunststoff, genauer gesagt aus Polycarbonat. Auf der rechten Seite befinden sich drei Knöpfe, wie man es auch von früheren Lumia-Modellen her kennt. Auf einen Home-Button auf der Frontseite verzichtet Microsoft wie üblich bei seinen Lumia-Modellen.

Quelle: Microsoft

Oben befindet sich der Kopfhöreranschluss, unten ein USB-C Anschluss fürs Aufladen und Datenübertragung. Der Rahmen des Gehäuses fühlt sich sehr kantig an. Immerhin liegt es recht sicher in der Hand und man kann es auch gut im Querformat zum Fotografieren halten.

Quelle: Microsoft

Auf der Rückseite steht die Kameralinse hervor, wie es unterdessen bei Modellen der meisten Hersteller üblich ist. Hier setzt Microsoft weiterhin auf eine PureView-Kamera mit Linsen vom renommierten Hersteller Zeiss. Die abnehmbare Rückseite besteht aus einem glatten Kunststoff, ist aber nicht rutschig. Neben der Kameralinse ist ein Lautsprecher eingebaut. Die Rückseite und Rand gibt es farblich in zwei Ausführungen, in mattem schwarz oder weiss.

Quelle: Microsoft

Die Idee der abnehmbaren Rückseite ist zwar nicht ganz so schön umgesetzt, aber sie ermöglicht das Wechseln des Akkus, das Einsetzen einer microSD-Karte zur Erweiterung des internen Speichers sowie der Nano-SIM-Karte. Das Lumia 950 und das 950 XL gibt es auch als Dual-SIM-Modelle (DS).

Lumia 950: Hardware – Specs

Das 5.2-Zoll Display bringt eine Auflösung von 2560 mal 1440 Pixel mit. Dank der recht hohen Pixeldichte von 564 ppi ist die Darstellung recht scharf. Was jedoch zu wünschen übrig lässt, ist die maximal mögliche Helligkeit. Selbst in Innenräumen wünscht man sich mehr Leuchtkraft, draussen im Sonnenschein ist das Display extrem blas. Eine hohe Auflösung ist zwar toll, aber man will die dargestellten Inhalte auch gut sehen können. Im direkten Vergleich mit einem Samsung Galaxy S6 oder einem iPhone 6S Plus wirkt das Display des Lumia 950 gerade mal sehr blass.

Um den Akku aufzuladen, stehen zwei Optionen zur Verfügung: Schnellladung über den USB-C Anschluss oder kabellos via Induktion (Qi-Standard).

Bei der Benutzung des Lumia 950 sind uns ein paar weitere Aspekte aufgefallen: Der Akku hat trotz seiner Grösse von 3000 mAh bei unserem Testgerät sehr schnell abgebaut, auch wenn wir das Gerät nicht sehr aktiv benutzt haben. Zudem haben wir immer wieder Probleme mit dem WLAN gehabt: Nach einer gewissen Zeit hat das Lumia 950 die WLAN-Verbindung verloren und nicht mehr neu etablierten können. Dann hat nur ein Neustart geholfen. Auch kann das Gerät auf der Rückseite recht schnell auffallend warm werden, auch das Display strahlt viel Wärme ab. Nutzt man die Continuum-Funktion von Windows 10 wird das Gerät sogar regelrecht heiss. Auch beim Einbuchen in Funkzellen hat das Lumia 950 immer wieder Probleme, was uns gerade beim Musikstreaming negativ aufgefallen ist.

  • Display: 5,2’’ WQHD AMOLED Display / 2560 x 1440 / Pixeldichte 564 ppi
  • Grösse: 145 x 73,2 x 8,2 mm
  • Gewicht: 150 Gramm
  • Akku: 3000 mAh / wechselbar
  • Arbeitsspeicher: 3 GB
  • Datenspeicher: 32 GB / erweiterbar mit microSD
  • Prozessor : Qualcomm Snapdragon 808 1.8 GHz Hexa-Core
  • Hauptkamera: 20 MP / f 1,9 / Dateiformate: .jpg, .dng (RAW-Format)
  • Vordere Kamera: 5 MP
  • Netz: 2G / 3G / 4G
  • WLAN802.11 ac/a/b/g/n
  • Anschlüsse: 3,5-mm-Stereo-Audio / Bluetooth 4.1 / USB-C
  • Betriebssystem: Windows 10
  • SIM-Karte: Nano-SIM

Lumia 950: Gesamteindruck

Man kann es drehen und wenden wie man will, das Lumia 950 überzeugt einfach nicht als so genanntes "Flagship". Viele andere Hersteller bauen seit längerem Geräte auf einem sehr hohen Niveau die von Jahr zu Jahr weiterentwickelt werden. Unter dem Namen "Lumia" glänzten schon innovative Geräte wie das Lumia 1020 mit einer 40 Megapixel Kamera oder das 1520 mit einem 6 Zoll grossen Display. Auch das Lumia 930, das letzte Top-Modell der Reihe, hat uns damals sehr überzeugt. Wenn man die Modelle der letzten anderthalb Jahre anschaut, steht "Lumia" nur noch für Durchschnitts-Ware.

Auch was die Auswahl der Materialen betrifft, stellt das Lumia 950 eine Verschlechterung gegenüber früheren Modellen dar. Diese besassen zwar ebenfalls eine Kunststoffrückseite, dieser fühlte sich jedoch einiges hochwertiger an und bot auch eine angenehmere Haptik. Auch die Zeiten, als die Lumia-Geräte in poppigen Farben wie gelb, orange, grün oder blau daherkamen, sind vorbei.

Die Continuum-Funktion und Windows Hello heben das Lumia 950 von den Modellen anderer Hersteller ab. Anstatt einem Fingerprintscanner setzt Microsoft für die Benutzer-Identifikation auf die Erfassung der Iris des menschlichen Auges. Dazu wird mit Hilfe der Frontkamera und eines Infrarotlichts ein hochauflösendes Bild der Iris des Benutzers erstellt.

Quelle: Shutterstock

Man sieht dem Lumia 950 einfach zu deutlich an, dass Microsoft in den vergangenen zwei Jahren preisgünstige Geräte gebaut hat. Früher waren die Lumia-Modelle auch dafür bekannt mit leistungsschwächerer Hardware eine ansprechende Performance zu erreichen, aber diese Zeit sind ebenfalls vorbei. Wenn man das Lumia 950 eine Zeit lang benutzt, merkt man, dass es schon bei den Grundfunktionen zu viel Schwierigkeiten hat. Das ist auch der Grund, warum wir hier mehr als nur ein klassisches Review schreiben. Das liegt aber auch am Betriebssystem Windows 10, welches zum Zeitpunkt unseres Tests fürs Smartphone einfach noch zu sehr als Beta-Version rüberkommt. Im nächsten Kapitel gehen wir näher darauf ein.

Windows 10 auf dem Smartphone

Mit der Einführung von Windows 10 im vergangenen Sommer ist die Bezeichnung "Windows Phone" verschwunden. Unabhängig vom Gerät heisst das Betriebssystem überall Windows 10. Ausnahmen bilden da nur die Xbox One und Windows IoT. Für Smartphones verwendet Microsoft selber mancherorts den Begriff "Windows 10 Mobile", was das Begriffswirrwarr nur noch komplizierter macht. Denn unter "Mobile" kann man auch Tablets oder Notebooks verstehen.

Während wir auf dem Desktop-Rechner oder einem Mobilgerät aus der Surface-Reihe eigentlich einen sehr guten Eindruck von Windows 10 bekommen haben, hat uns Windows 10 auf dem Lumia 950 sehr enttäuscht. Dabei waren wir von Windows Phone mal sehr angetan: Nach den Erfahrungen mit Windows 10 auf dem Lumia 950 müssen wir unsere Einstellung jedoch revidieren. Generell mangelt es Windows 10 an Stabilität, was auch immer wieder in App-Stürzen bemerkbar macht. Als Benutzer spürt man keine grosse Weiterentwicklung gegenüber Windows Phone 8.1. Im Gegenteil, mancherorts muss man eher von Rückschritten sprechen. Windows Phone tat sich früher durch ein im positiven Sinne spartanisches Einstellungs-Menü hervor. Mit jeder neuen Version wurde dies mehr und mehr aufgebläht. Auch beliebte Funktionen wie das Antippens des Displays um das Gerät zu aktivieren, fehlen.

Auch manche Dinge, die wir schon vor zwei Jahren kritisiert haben, sind in der aktuellen OS-Version nicht verbessert worden. Dazu zählt zum Beispiel die Integration von OneDrive for Business oder das Streamen von Inhalten aus Apps heraus. Ob das an den einzelnen Apps oder am Windows 10 liegt, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen.

Windows Hello und Continuum sind die beiden neuen Features von Windows 10, welche prominent beworben werden. Windows Hello steht auch auf anderen Windows 10-Geräten zur Verfügung, Continuum ist dem Smartphone vorbehalten. Es ermöglicht das Anschliessen eines externen Bildschirms sowie von Maus und Tastatur um das Smartphone "wie einen PC zu nutzen" – so die offizielle Formulierung von Microsoft. Wir werden auf die beiden Features in einem separaten Beitrag im Rahmen unserer Windows 10-Reihe eingehen.

Auf Basis des aktuellen Windows 10-Builds bleibt einfach ein Gefühl von "Beta-Version" von Windows 10 auf dem Smartphone zurück. Hier muss Microsoft kräftig und zügig nachliefern. Was den Funktionsumfang angeht, hinkte Microsoft auch mit der letzten Version von Windows Phone (8.1) immer noch den etablierten Mitbewerbern iOS und Android hinterher. Auch jetzt mit Windows 10 hat Microsoft es nicht geschafft, diese Lücke zu schliessen.

Öko-System und Apps

Auch im Jahr 2016 existiert nur ein rudimentäres Öko-System von Apps. Auch kann man sich nicht darauf verlassen, dass Apps welche unter Windows Phone 8.1 noch liefen, dies auch unter Windows 10 tun oder überhaupt noch im Store vorhanden sind. Das fehlende Angebot von Apps von Drittanbietern war und bleibt der grösste Stolperstein für Windows Smartphones.

Zwar sind die Microsoft-eigenen Dienste wie die Office-Apps alle vorhanden, aber das alleine reicht nicht, um Anwender zu überzeugen. Denn die Kunden kaufen nicht einfach nur ein Smartphone, sie entscheiden sich für ein Öko-System. Schlussendlich ist es ein Teufelskreis: Mangelnde Apps bedeuten, dass es für einen Hersteller sehr schwer ist, neue Marktanteile hinzuzugewinnen. Ist es um Apps und Marktanteile nicht gut bestellt, besteht auch kein Anreiz für Entwickler oder Anbieter von Dienstleistungen oder Produkten, die in Verbindung mit einer App stehen, zu investieren.

Bei der App-Misere geht es um die generelle Verfügbarkeit von Apps, aber auch um den oft reduzierten Funktionsumfang im Vergleich zu den Pendants auf iOS oder Android. Welche Apps man auf dem Smartphone erwartet, ist natürlich sehr individuell, aber viele grosse Namen fallen immer noch mit Abwesenheit auf. Dazu gehört die gesamte Palette der Google-Apps, Flickr, 500px oder LinkedIn. Andere wie beispielsweise Instagram sind bisher nicht über ein Beta-Stadium hinausgekommen. Gibt es keine offizielle App für einen Dienst, bleibt oft nur das Ausweichen auf eine App eines Drittanbieters. Auf diese Situation trifft man im Windows Store relativ häufig. Das Fernbleiben grosser Anbieter hat andere Entwickler dazu ermutigt, die Lücke zu füllen und eigene Apps anzubieten. Wenn man dann dort seine Login-Daten eingibt, bleibt immer ein ungutes Gefühl zurück. Zudem ist auch nicht klar, wie schnell oder ob überhaupt die App weiterentwickelt und kompatibel gehalten wird.

Betreffend Funktionsumfang ist der Streaming-Dienst Spotify ein gutes Beispiel: So ist es bis heute nicht möglich, aus der Spotify-App heraus zu streamen (Spotify Connect), wobei dies auf anderen Plattformen möglich ist. Aber auch bei der OneNote-App von Microsoft selber fehlen elementare Funktionen: Man kann zwar neue Notizbücher hinzufügen, aber bestehende Löschen oder Entfernen kann man nicht. Auch bei anderen hauseigenen Apps hat Microsoft eine Bereinigung vorgenommen, was es bestehenden Anwendern jedoch nicht leichter macht. Die Lumia Kamera-App wurde aus dem Store entfernt und steht somit auch für die vielen User von Windows Phone 8.1 nicht mehr zur Verfügung.

Wie schnell man als Windows-User punkto Apps an die Grenzen stösst, merkt man schon im ganz normalen Alltag: Für den Carsharing-Dienst "Catch a Car" bei uns in Basel, den wir selber auch regelmässig nutzen, gibt es eine iOS- und eine Android-App.

Screenshot. Quelle: catch-a-car.ch

Die Dienstleistung wurde vor bald zwei Jahren ins Leben gerufen – eine Smartphone-App für Windows ist bis heute nicht verfügbar.

Dabei hat auch Microsoft selber dazu beitragen, dass sich die App-Situation so ernüchternd darstellt. Über die Jahre und die verschiedenen Betriebssystem-Versionen fehlte es für Programmierer und Entwickler an Kontinuität. Mit Windows 10 hat Microsoft erneut viele Veränderungen bei Programmier-Schnittstellen eingeführt. Microsoft muss dringend an der Akzeptanz der Universal Apps für Windows 10 arbeiten und App-Entwickler überzeugen, dass es sich lohnt, für Windows 10 zu entwickeln und die Apps auch zu pflegen. Ein Anbieter, der dies unterdessen sehr vorbildlich umgesetzt hat, ist der Passwort-Manager 1Password.

Andere Bemühungen das Angebot an Apps zu verbessern, kommen auch nicht recht vom Fleck. Mit "Windows Bridge" wollte man es Entwicklern ermöglichen, vorhandene Android- oder iOS-Apps auf Windows 10 zu portieren. Seit der Ankündigung im vergangenen Jahr ist aber nicht viel geschehen, und der Android-Teil ist bereits wieder begraben worden.

Alleinstellungsmerkmale

Neben einem soliden Betriebssystem, ansprechender Hardware und einem breiten Ökosystem braucht eine Smartphone-Plattform auch Alleinstellungs-Merkmale, die man auf anderen Plattformen nicht findet. Diese können für potentielle Kunden der Grund sein, sich für eine Plattform zu entscheiden. Bei den Windows Smartphones waren dies aus unserer Sicht in den vergangenen Jahren die Karten- und Navigation-App HERE, die Office-Apps und eine überdurchschnittlich gute Kamera, welche schon früh mit der Möglichkeit, RAW-Bilder zu speichern, aufwartete.

Doch hier hat ein schrittweiser Ausverkauf stattgefunden: Der Kartendienst HERE wurde von Nokia an drei deutsche Automobilhersteller verkauft und ist heute als App auch für Android und iOS zu haben. Dasselbe gilt auch für die Office-Apps sowie für den Cloudspeicherdienst OneDrive: Sie gibt es unterdessen für Android- und iOS Geräte. Auch der ursprünglich von Nokia lancierte Musikdienst MixRadio wurde im Zuge der Übernahme durch Microsoft zuerst verkauft und dann später eingestellt.

Von den Alleinstellungsmerkmalen war jedoch die Kamera beim Lumia 950 das Feature, welches uns am meisten enttäuscht hat. Darum wollen wir hier auch in einem eigenen Kapitel darauf eingehen.

Lumia 950: Kamera

Die Kamera war bisher immer ein Highlight für uns bei den Lumia-Geräten. Auch im Lumia 950 steckt wieder eine PureView-Kamera mit einem Objektiv vom renommierten Hersteller Zeiss.

Quelle: Microsoft

Wie bereits erwähnt, bietet sie das gleichzeitige Speichern der Aufnahmen in zwei Formaten: als JPG und als DNG, also als unbearbeitetes RAW-Bild. Die Kamerasoftware bearbeitet die Aufnahmen intern sehr stark nach. Dies ist uns schon bei den ersten Testaufnahmen aufgefallen. Sehr gut sieht man dies, wenn man DNG und JPG in einem Programm wie Adobe Lightroom oder ACDSee Pro nebeneinander vergleicht. Die folgenden Testbilder sind ohne weitere Nachbearbeitung direkt aus Adobe Lightroom CC heraus exportiert.

Hier zuerst ein DNG-Bild. Es ist sehr matschig und schwammig und auch nicht sehr scharf. Die Konturen wirken unpräzise und die gesamte Aufnahme macht einen blassen Gesamteindruck.

Lumia 950 Kamera: RAW-Bild

Das JPG macht dem gegenüber geradezu einen überzeichneten Eindruck. Die Farben wirken nicht wirklich natürlich und die Kanten sind zu stark nachgeschärft.

Lumia 950 Kamera: JPG-Bild

Bei der Aufnahme von den Blumen sieht man die Unterschiede auch sehr deutlich. Auch hier zuerst wieder das DNG, dann das JPG:

Lumia 950 Kamera: DNG-Bild
Lumia 950 Kamera: JPG-Bild

Unterschiede zwischen JPG und DNG gab es natürlich schon beim Lumia 1520 oder 930. Ein Blick in unseren Katalog mit Testbildern zeigt jedoch, dass die DNG-Qualität damals nicht so schlecht war und die JPG’s nicht so stark überzeichnet wurden.

Von der Kamera des Lumia 1520 oder 930 waren wir damals hell begeistert. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass diese Geräte unterdessen zwei bis drei Jahre alt sind und die anderen Smartphone-Hersteller unterdessen ihre Kameras auch weiterentwickelt haben. Mit dem Lumia 950 bleibt eigentlich nur Enttäuschung zurück. Die Kamera-Funktion war früher ein Kaufargument für ein Lumia-Gerät, heute müssen wir nicht nur eine fehlende Weiterentwicklung feststellen, sondern effektiv eine Verschlechterung. Es ist sehr schade, dass Microsoft dieses Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Herstellern verspielt hat.

Where do you want to go today?

Was im Jahre 2011 mit Enthusiasmus begonnen hatte, steht heute vor dem Aus. Microsoft und der finnische Konzern Nokia, hatten sich zusammengetan, um gemeinsam Smartphones mit dem Betriebssystem Windows Phone 7, welches bereits 2010 vorgestellt worden war, auf den Markt zu bringen. Die ersten Früchte der Zusammenarbeit zeigten sich im Jahre 2011, als das Lumia 800 vorgestellt wurde.

Nokia Lumia 800.
Quelle: Microsoft

Es war das erste Nokia-Mobiltelefon mit dem Betriebssystem Windows Phone 7 von Microsoft, das bei Nokia langfristig die Symbian-Plattform ablösen sollte. Nokia und Microsoft hatten sich sehr hohe Ziele gesteckt und zeigten sich dementsprechend angriffslustig. Nokia erhoffte sich mit dem Gerät eine Rückeroberung verlorener Marktanteile und Microsoft eine Etablierung seines Betriebssystems als drittes System neben Android von Google und iOS von Apple. Das Lumia 800 kam in Reviews nicht gerade schlecht weg und der Plattform wurden durchaus Chancen eingeräumt.

Zwischen den Jahren 2011 und 2016 muss also einiges falsch gelaufen sein. Fakt ist, das Windows 10 auf dem Smartphone heute am Rande der Bedeutungslosigkeit steht. Dafür gibt es mehrere Gründe, die sich über einen grösseren Zeitraum entwickelt haben. Wir haben im Artikel versucht, ein paar wichtige Faktoren näher auszuführen und Zusammenhänge zu beleuchten.

  • Kein Ökosystem aus Apps und Diensten: So kann auf Dauer keine Mobile-Plattform überleben
  • Grober Fehler bei der Hardware-Strategie: Schwanken zwischen Top-Modellen und Billig-Geräten
  • Rückstände im Funktionsumfang bei Windows Phone / Windows 10: Trotz vieler guter Ansätze konnte das Betriebssystem im Funktionsumfang nie zu iOS oder Android aufschliessen.
  • Schrittweiser Ausverkauf der Alleinstellungsmerkmale: HERE-Karten und Office-Apps findet man heute auf allen Plattformen. Lumia Kamera nicht weiterentwickelt.

Dahinter steht auch der Strategiewechsel von Microsoft, welcher Dienste und nicht einzelne Geräte ins Zentrum stellt. Buzzfeed hat dazu einen sehr aufschlussrechen Artikel mit einem Gespräch mit CEO Satya Nadella veröffentlicht: Auch er gibt zu, dass die Marktanteile von unter zwei Prozent unakzeptabel seien. Aber zusammenfassend gesagt ist ihm wichtig, dass die Anwender die Services von Microsoft benutzen, mit welchem Gerät und von welcher Plattform aus, spiele nur eine untergeordnete Rolle.

Dafür, dass Windows auf dem Smartphone von einer breiten Masse von Kunden nie akzeptiert worden ist, gibt es natürlich noch viele andere Gründe, die wir hier nur stichwortartig zusammenfassen:

  • Fehlende Emotionalität: Windows Phone war nie "in" oder "hip"
  • Schlechte Update-Politik: Lange Verzögerungen bei der Auslieferung, oft unklar welche Geräte Updates bekommen
  • Umstieg auf Windows Phone 8: Nicht für alle Geräte mit Windows Phone 7
  • Fehlender Kontinuität bei Apps: Musikdienst von Xbox Musik zu Groove, Lumia Kamera eingestellt
  • Verlust von Know-How durch Entlassungen nach der Übernahme von Nokia.

Aus wirtschaftlicher Sicht waren die Kooperation mit Nokia und später die Übernahme für beide Unternehmen ein Verlustgeschäft. Wo Nokia heute stehen würde, hätten sie damals auf ein anderes Betriebssystem gesetzt, kann man natürlich nicht ernsthaft sagen. Nokia und Microsoft befanden sich damals beide in der Krise: Nokia, einst Marktführer bei Mobiltelefonen, stand vor dem Untergang, weil man zu lange auf die eigene Symbian-Plattform gesetzt hatte. Und Microsoft hatte mit Windows CE schon damals keinen Fuss im Markt.

Wie wir schon in unserem Beitrag "Windows 10 und der anhaltende Shitstorm" gezeigt haben, gibt es viele Anwender, welche Probleme mit dem "neuen Microsoft" haben, wo Cloudanbindung und Software as a Service im Zentrum stehen. Nicht ohne Grund sind die Marktanteile von Windows 7 immer noch so hoch. Diese ablehnende oder kritische Grundhaltung wirkt sich natürlich auch auf die Smartphone-Aktivitäten von Microsoft aus. Dies gilt erst recht für Windows 10, was als geräteübergreifende Plattform positioniert wird.

Abschliessende Überlegungen

Microsoft hat es trotz seiner Grösse als Unternehmen und der hohen Verbreitung seiner anderen Produkte nie geschafft, im Smartphone-Segment einen Fuss in den Markt zu bekommen. Hartnäckig hält sich das Gerücht vom "Surface Phone", welches bei der Hardware-Qualität wieder punkten soll. Denn mit der Surface-Reihe oder dem Xbox Elite Controller hat Microsoft gezeigt, dass sie auch ganz andere Geräte bauen können als das lieblos wirkende Lumia 950. Wobei nach unserer Meinung auch ein neues Super-Smartphone alleine die Probleme der Plattform nicht lösen könnte.

Aktuell treibt Microsoft die Verzahnung von Geräten weiter voran: Kommende Updates von Windows 10 sollen es beispielsweise möglich machen, eingehende Anrufe oder SMS auf einem Smartphone von einem Desktop-PC oder Notebook aus zu beantworten. Dieses Zusammenspiel haben wir  eigentlich schon bei der Einführung von Windows 10 erwartet. Apple hat diese Funktionen bereits in seinem Öko-System integriert und Microsoft kann dies ebenfalls umsetzen, weil Windows 10 auf Desktop-Rechnern genauso läuft wie auf dem Smartphone. Daher wird es auch für Google kaum möglich sein, hier mitzuziehen, weil Android ein reines Mobile-OS ist.

Quelle: Shutterstock

Es ist aus unserer Sicht wünschenswert, wenn Microsoft im Smartphone-Markt auf einen grünen Zweig kommt. Nur der Weg dorthin wird nicht einfach sein. Microsoft muss sich bei Kunden und App-Entwicklern gleichmassen Vertrauen wieder erarbeiten. Windows 10 hat ein paar Ansätze, die durchaus zur Vielfalt im Smartphone-Markt beitragen können und es wäre gut, wenn dieser nicht nur von zwei Grossen dominiert bleibt.

Ausblick

Im nächsten Teil unserer Serie gehen wir näher auf verschiedene Features von Windows 10 ein, unter anderem Continuum und Windows Hello, welche wir in diesem Artikel nur kurz angeschnitten haben.