"Das Land, das nicht sein darf" gab es bisher nur in der Fantasie des Kindesbuchs "Jim Knopf und die Wilde 13". Alle Elemente befanden sich im Aufruhr gegen das Heimatland der Piratentruppe. Am Ende des Buches versenken die Piraten ihre Heimatinsel, um Jim Knopf zu seinem rechtmässigen Königreich zu verhelfen. Die reale Welt funktioniert jedoch nicht nach den Regeln eines Kindebuchs – das "Land das nicht sein darf" hat am vergangenen Dienstag sogar den Einzug ins Weisse Haus geschafft. Und dabei hat es doch keiner vorausgesehen und schon gar keiner gewollt. Nur die wütenden weissen Männer vielleicht, aber sie haben halt noch nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen.

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Trump’s Algorithmus

Wie hat es dieser Trump denn nur geschafft, wie konnte dieser Unfall nur passieren? Alle waren doch gegen ihn: die Umfragen, die Medien und die Menschen auf der Strasse mit ihren Mahnwachen. Meinungsumfragen haben Hillary Clinton uneinholbar vor Donald Trump gesehen – also würde schon alles gut werden, die Wähler sollten jetzt nur noch zur Wahlurne gehen und den Traum Wirklichkeit werden lassen. Aufgewacht sind wir am nächsten Morgen jedoch in einer anderen Welt. Seitdem wird verzweifelt nach Erklärungen gesucht, obwohl es eigentlich keine braucht. Über 120 Millionen amerikanische Wähler haben demokratisch ihren neuen Präsidenten gewählt. Das muss man akzeptieren und sich nicht darüber den Kopf zerbrechen, was den falsch gelaufen sei. Die Frage ist falsch gestellt, nichts ist falsch gelaufen – nur haben offenbar viele Menschen Mühe, mit dem Ergebnis klar zu kommen.
Ich selbst habe natürlich nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Medienberichterstattung mitbekommen. Und auch in den Tagen nach der Wahl lässt sich diese auf eine Formel zusammenfassen: Hillary gut, Trump böse. Und die Medien wurden und werden auch nicht müde, diese Message immer wieder in die Köpfe der Zuschauer zu hämmern – mal direkter, mal unterschwellig mit einer bewusst gewählten Formulierung oder einem zusätzlichen Adjektiv. Ich nehme hier als nicht-repräsentatives Beispiel die Tagesschau des Schweizer Fernsehens. Redaktion und Moderatoren haben bis heute nicht verkraftet, dass nicht "ihre Kandidatin" gewonnen hat. Trump wird als "Rechtspopulist" abgestempelt, eine vergleichbare Kategorisierung fehlt bei Berichten über Clinton. Auch seine Wähler werden diffamiert: ungebildet, arbeitslos und kein Auge für Werte, also nichts, womit die Promotoren des "Erfolgsmodell Schweiz" sich identifizieren könnten oder was in ihr Weltbild passt.
Die Medien sind in diesem Wahlkampf nicht nur Beobachter gewesen, sie sind selber Meinungsmacher gewesen. Sie haben ihren heiligen Gral der unabhängigen Berichterstattung und der journalistischen Sorgfaltspflicht – die selbstverständlich nur ausgebildete Journalisten beherrschen und kein Blogger oder Twitterer – auf dem Scheiterhaufen der eigenen Überheblichkeit geopfert und gehofft, wenn Hillary gewinnt, würde es denn schon niemand merken. Aber der Zweck heiligt eben nicht immer die Mittel und das Ziel ist ja in diesem Fall auch nicht erreicht worden. Aus der Sicht der Medien hat anstatt Senatorin Amidala der zum Imperator mutierte Kanzler Palpatine die Republik übernommen.

Der Vorwurf der Lügenpresse geistert wieder herum: Etablierte Medien, die ihre Marktmacht und ihren Einfluss auf die Meinungsbildung der Wähler bewusst einsetzen, um ein Ergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen. Neu dazu gesellt sich in der öffentlichen Wahrnehmung die Macht von Konzernen wie Facebook und Google. Ihnen wird vorgeworfen zu entscheiden, welche News die User zu Gesicht bekämen und welche nicht. Und das nicht mit einer Redaktionssitzung, sondern mittels Algorithmen die entscheiden, welchen Platz im Newsfeed eines Users eine Meldung bekommt oder ob sie zuoberst in den Suchergebnissen auftaucht.

Die deutsche Bundeskanzlerin hat kürzlich eine Offenlegung der Kriterien und Algorithmen gefordert, mit denen die Konzerne arbeiten. Also nichts geringeres als die Offenlegung der best gehüteten Betriebsgeheimnisse – und das angeblich im Interesse der Demokratie. Sollen Siemens und Mercedes jetzt auch ihre Entwicklungsabteilungen öffnen, damit der globale Freihandel gefördert wird? Wohl kaum, denn Transparenz hört dort auf, wo die eigenen Interessen beginnen.
Aber auch sonst ist das Ausspielen von "alten Medien" versus "neue Medien" deplatziert. Medien haben schon immer eine Auswahl aus allen Newsmeldungen getroffen und entschieden, was als grosse Titelstory auf die Frontseite kommt und was in die Kurzmeldungen der letzten Seite verbannt wird. Und was in den Redaktionssitzungen des "heute"-Redaktion oder im Büro des Chefredaktors der New York Times besprochen und entschieden wird, war noch nie öffentlich.

Als Zuschauer und Leser bekommen wir das Endergebnis präsentiert – eine Sendung oder die neuste Zeitungsausgabe – aber wir haben keinen Einblick in den Entstehungsprozess, wir wissen nicht, wie welches Ereignis gewichtet wurde. Es gibt keine Garantie, dass Journalisten immer alles richtigmachen. Und die Label "öffentlich-rechtlich" und "Service Public" sind keine inhaltlichen Qualitätsmerkmale, sie beschreiben nur, woher der Lohn der Journalisten und Redakteure kommt.
Was ist nun der Algorithmus von Donald Trump? Das ist natürlich das Geheimnis von ihm und seinem Wahlkampfteam. Öffentlich sichtbar sein wird jedoch, was er als Präsident daraus macht. Die Medien werden ihm dabei auf die Finger schauen und seine Resultate loben oder kritisieren.
Dass die Mexikaner jemals für ihre Mauer bezahlen werden, ist sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist hingegen, dass mit diesem Wahlkampf die Medien endgültig zum Player im Machtpoker mit einer eigenen Agenda geworden sind, und das auch in den Ländern, in denen Trump gar nicht zur Wahl stand. Aber die gleichen Mechanismen – also die feine Platzierung von Botschaften und das unterschwellige Portieren von Meinungen – funktionieren auch, wenn es um Aufnahme von Flüchtlingen oder Steuerung der Einwanderung aus EU-Staaten geht. Wenn sich die Medien jetzt selber immer noch als die Hüter der Meinungsvielfalt und der unabhängigen Berichterstattung darstellen, haben sie die Bezeichnung "Lügenpresse" auch verdient.