Weekly - Seid Ihr bereit?

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Seid Ihr bereit?

Von Archangel - 06.07.2020

Alle wollen raus aus dem Corona-Lockdown. Manche sind dabei vorsichtiger als andere, aber das Ziel heisst “Normalität”. Doch was ist, wenn das normale Alltagsleben nie mehr zurückkehrt? Man könnte den Corona-Lockdown doch einfach zu Gunsten des Klima-Schutzes dauerhaft fortsetzen.

Zurück ins normale Leben
Quelle: Shutterstock

Hand auf Herz, wirklich vorstellen kann ich mir das nicht, und ich denke, vielen von Euch geht es ähnlich. Etwas widersprüchlich ist es schon: Da forderten im vergangenen Jahr Millionen von Menschen rund um den Globus auf den Strassen und im Internet unter anderem die Einstellung des Flugverkehrs, ein Ende des täglichen Verkehrskollapses in den Agglomerationen und die Abschaltung grosser Industrien und Kraftwerke.

Doch was Greta Thunberg und ihre Anhänger nicht geschafft hatten, schaffte ein kleines Virus im Handumdrehen. Flugreisen, Gross-Veranstaltungen, Shopping-Touren ins Ausland oder sich einfach mit Freunden in einem Restaurant auf ein Bier treffen - all das wurde per staatlicher Verordnung gestoppt. Auch wenn die einzelnen Länder es sehr unterschiedlich umgesetzt haben, bei uns in der Schweiz kam beinahe das gesamte öffentliche Leben zum Stillstand. Die Forderungen der Klima-Aktivisten nach “abschalten” und “sofort aussteigen” waren Wirklichkeit geworden.

Ein Lockdown auf Dauer?

Ich möchte Euch zu einem kleinen Gedankenspiel einladen. Betrachen wir die Zeit, als die einschneidenden Corona-Regeln im Alltag galten, als eine Art Testlauf oder eine zeitlich beschränkte Vorschau auf die Massnahmen die nötig sein werden, um die im Klima-Abkommen von Paris festgelegten CO2-Ziele zu erreichen. Denn es ist schlicht nicht realistisch zu glauben, dass wir die Welt retten können und trotzdem weiterhin in den Bergen Skifahren gehen oder die nächsten Olympischen Spiele am Fernseher verfolgen. Im “Klima-Lockdown” gibt es weder Schneekanonen noch globale Grossveranstaltungen samt weltweiter Fernsehübertragung.

Doch werden die Menschen und die Wirtschaft das überhaupt akzeptieren?

Wieviel CO2 darf es denn sein?

Bevor ich näher auf diese Frage eingehe, müssen wir zuerst klären, ob die Massnahmen des Lockdowns wie wir ihn in den letzten Wochen erlebt haben, überhaupt ausreichen würden um die CO2-Ziele zu erreichen.

Lassen wir die unbequeme Wahrheit gleich aus dem Sack: Nein, sie reichen bei Weitem nicht aus.

Eine Studie unter der Leitung der Universität Stanford hat hochgerechnet, dass während dem Corona-Lockdown die täglichen CO2-Emissionen weltweit um rund 17 Prozent geringer waren als ein Jahr zuvor. In vielen Grossstädten und stark industrialisierten Regionen wurde zudem eine deutlich verbesserte Luftqualität gemessen.

Politiker und die Klima-Aktivisten orientieren sich am Klimaabkommen von Paris. Dort ist ein maximaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit vereinbart. Ich finde die Vorstellung das globale Klima wie einen Thermostat regeln zu können zwar etwas absurd aber schlussendlich geht es darum, wieviel CO2 ausgestossen wird.

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Ich will jetzt nicht mit allen möglichen Berechnungen und Messwert-Tabellen um mich werfen. Machen wir eine ganz einfache Gegenüberstellung mit Zahlen für die Schweiz. Um die 1,5 Grad zu erreichen, dürfte jeder Einwohner der Schweiz nur noch 0,6 Tonnen CO2-Ausstoss pro Jahr verursachen. Diese Zahl wurde schon vor Jahren von Forschern der Universität Genf im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Umwelt errechnet und wird seitdem gerne vielerorts zitiert.

Dem gegenüber steht aber ein aktueller Pro-Kopf-Ausstoss von 5,4 Tonnen jährlich. Zählt man die durch Importgüter bei der Herstellung im Ausland verursachten Emissionen hinzu, beläuft sich das Total sogar auf rund 14 Tonnen pro Einwohner und Jahr. Auch dies sind offizielle Zahlen vom Schweizer Bundesamt für Umwelt. Auch ohne noch mehr Zahlenmaterial zu liefern, sind die Grössenordnungen klar. Die Massnahmen des Corona-Lockdown haben niemals die Wirkung um auf 0,6 Tonnen herunterzukommen.

Aber woran liegt das? Auch hier hat die Wissenschaft eine Erklärung parat. Ein Lockdown ist ein “nur” simples Herunterfahren oder Ausschalten bestimmter Bereiche der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens. Viele Betriebe für die öffentliche und private Grundversorgung sowie die Bauwirtschaft oder andere Industrieunternehmen sind jedoch grösstenteils weitergelaufen. Dienstleistungsbetriebe und Verwaltungen haben auf digital und Home-Office umgestellt.

Leere Innenstädte wie hier in Basel prägten den Lockdown

Um den CO2-Ausstoss nachhaltig zu senken, bräuchte es hingegen strukturelle Veränderungen in unserem gesamten Wirtschafts-, Verkehrs- oder Energiesystem, wie es Corinne Le Quéré von der Universität East Anglia formuliert hat, die ebenfalls die Wirkungen des Lockdowns auf die Schadstoff-Emissionen untersucht hat. Rein punktuelle Eingriffe wie beim Corona-Lockdown sind also nicht ausreichend.

Steinzeit, nein danke

Die “strukturellen Veränderungen” zwingen uns vielleicht nicht gerade wieder in Höhlen zu leben, aber die Richtung ist zumindest in der Theorie klar. Alles wird auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft umgebaut. An unseren Gewohnheiten für Wohnen, Kochen, Arbeiten, Verkehr, Bildung und Gesundheit - also alles was wir unter Grundbedürfnissen verstehen - werden wir nicht in der gegenwärtigen Form festhalten können.

Noch härter trifft es den Konsum, hier wird es hauptsächlich auf einen kompletten Verzicht hinauslaufen. Und man darf nicht vergessen, dass mit jedem neuen Erdenbürger auch ein weiterer Konsument dazukommt, der Ressourcen beansprucht. Es ist jedoch beinahe unmöglich geworden, über diesen simplen Zusammenhang sachlich zu diskutieren ohne gesellschaftlich etablierte Dogmen zu verletzen oder ins ideologische Abseits gestellt zu werden.

Zum Konsum gehört auch die so genannte Spass- und Freizeitgesellschaft, die vom Lockdown am stärksten betroffen war. Hier geht es nicht nur um “CO2-Schleudern” wie zum Beispiel Schneekanonen oder Flutlichter im Fussballstadion, sondern um die Tatsache, dass viele ihre Freizeit nicht zu Hause verbringen: Unsere Mobilität - und zwar für Freizeit und Beruf - ist für eine grosse Menge CO2 verantwortlich. Aus der Lockdown-Zeit weiss man, dass knapp die Hälfte des Rückgangs der CO2-Emissionen allein auf das Konto des Strassen- und Schienenverkehrs ging, da sich das Mobilitätsverhalten der Menschen radikal verändert hatte: Kein Arbeitsweg, keine Trips übers Wochenende und keine Treffen mit Freunden und Familie.

Das globale System muss wieder funktionieren
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Doch sind wir bereit so ein Leben zu führen? Wenn ich mir die Medienberichte und Online-Kommentare der letzen Monate so vor Augen führe, komme ich zum Schluss, dass die Akzeptanz für dauerhafte drastische Einschränkungen beim überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht da ist.

Allerorts lautet jetzt das Motto “zurück zur Normalität”. Jetzt muss alles wieder so sein wie vorher, man hat es schliesslich gefühlt zu lange im Ausnahmezustand ausgehalten und auf vieles verzichtet. Von “Corona-Diktatur” zu sprechen, war und ist aus meiner Sicht jedoch völlig übertreiben. Niemandem wurden irgendwelche Grundrechte und Freiheiten weggenommen, es ging nur darum, in der Öffentlichkeit ein paar sinnvolle Hygiene-Regeln einzuhalten, die schlussendlich im Interesse von uns allen waren und immer noch sind.

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Denn wer will schon dauerhaft weniger Ausflüge, Events und Parties und generell auf Vergnügen verzichten? Klar gehört Geselligkeit zu den menschlichen Grundbedürfnissen und der Lockdown war diesbezüglich eher trist, aber für viele Menschen mit dem entsprechenden Einkommen sind ihre Freizeitaktivitäten heilig - wer hier eingreifen will, wird zur Spassbremse und zum Klassenfeind erklärt. So sind viele Flüge von Easyjet ab dem Euro-Airport in Basel für den Monat Juli schon ausgebucht.

Begriffe wie “Flugscham” scheinen vergessen gegangen zu sein - jetzt wollen viele wieder in die Ferien fliegen, als sei nichts gewesen. In den Grossstädten zeigen unbelehrbare Party-People, dass ihnen Feiern wichtiger ist, als sich an Einschränkungen zum Wohle der Gesundheit zu halten. Sorglosigkeit, Egoismus und Gleichgültigkeit machen sich breit.

Die Spass- und Freizeit-Branche verweigert eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Angebot. Bei diesen Unternehmen und Angeboten, die wie schon gesagt sehr stark durch die Corona-Einschränkungen zurückgebunden waren, besteht so gut wie keine Bereitschaft in Zukunft auf etwas zu verzichten und auch keine Einsicht, warum man an so etwas überhaupt nur denken sollte.

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Nur zwei Beispiele: Bergbahnen forderten eine schnelle Wiederaufnahme des Betriebs, um wieder Ausflügler in die Berge zu transportieren oder Event-Veranstalter hofften bis zur letzten Sekunde ihre Sommer-Festivals doch noch durchführen zu können. Alle Unternehmen wollen so schnell wie möglich zurück zum gewohnten Betrieb und gehen wie selbstverständlich davon aus, dass umsatzmässig alles wieder so wird wie früher.

Dabei wäre doch jetzt eine erstklassige Gelegenheit gewesen, schon lang postulierte Forderungen des Naturschutzes wie etwa den Schutz des Alpenraums Wirklichkeit werden zu lassen. Heilige Kühe wie den Tourismus in der Schweiz oder die Auto-Industrie in Deutschland darf es jetzt nicht mehr geben, sonst gibt es nie Veränderungen. Gerade der Tourismus ist ein Parade-Beispiel für Schizophrenie in der Politik: einerseits will man die Mobilität zu Gunsten des Klimas eindämmen, und andererseits gibt man Steuergelder aus, um Reisende aus fernen Ländern hierher zu locken. Gezielte Lobby-Arbeit der Branchenverbände und das Argument der Arbeitsplätze erreichen immer noch mehr, als die Forderungen nach konsequentem Klima-Schutz.

Die Argumente sind immer dieselben. Einschränkungen würden die einzelnen Betriebe finanziell zu stark belasten, Fragen bezüglich der Eindämmung der Pandemie oder der Gesundheit sind immer zweitrangig gegenüber dem Geld verdienen. Daraus ziehe ich den Schluss, dass man mit den gleichen Einwänden auch alle Einschränkungen zu Gunsten des Klimaschutzes ablehnen würde. Ernsthafte politische Vorhaben etwas zu verändern würden durch massive Lobbyarbeit schon im Keim erstickt. Und was Lobby-Arbeit erreichen kann, haben wir ja bei den Lockerungen der Corona-Massnahmen erlebt. In der Schweiz käme hinzu, dass vieles im Kompetenz-Gerangel zwischen Bund und den Kantonen zerrieben würde, da unser politisches System auf den Umgang mit derartig grossen Veränderungen nicht ausgelegt ist.

Der Tenor aus der Wirtschaft ist eindeutig: Jetzt bitte keine neue Vorschriften, die uns belasten. Egal ob es ums Klima oder um soziale Verantwortung innerhalb der Lieferkette geht.

Klappt es also nicht mit dem Klima-Schutz?

Für die Klima-Bewegung sind die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie gleich in mehrfacher Hinsicht bitter. Geld für den Klima-Schutz war von staatlicher Seite her immer knapp, für die Rettung und Wiederankurbelung der Wirtschaft werden jetzt Milliarden locker gemacht. Aspekte des Klima-Schutzes sind dabei so gut wie nicht berücksichtig. Auch von Seiten der Politik geht es primär darum, den “Ist-Zustand” aus der Zeit vor der Pandemie wieder herzustellen. Versprechungen wie der vielerorts ausgerufene “Klima-Notstand” entpuppen sich als leere Worthülsen.

Die Corona-Pandemie, die auch noch längst nicht vorbei ist, hat uns natürlich noch viele andere Dinge vor Augen geführt, die ich hier im Text nicht angesprochen habe. Vielleicht kommt ein Teil der breiten gesellschaftlichen Ablehnung von einschränkenden Massnahmen ja auch daher, dass wir auf so etwas nicht vorbereitet sind. Digital sind wir für Home-Office und Home-Schooling nicht bereit, ganz zu Schweigen von den sozialen Folgen vom Umbau der gesamten Arbeitswelt. Eine dauerhafte Massenarbeitslosigkeit können Wirtschaft und Gesellschaft nicht auffangen, die temporären Massnahmen zur Überbrückung der Corona-Pandemie treiben die sozialen Kassen wie die Arbeitslosenversicherung schon jetzt über ihr finanzielles Limit hinaus, indem der Staat Geld zuschiessen muss. Generell werden Klimaschutz-Massnahmen, die primär auf eine Verteuerung der Grundbedürfnisse abzielen, tiefgreifende soziale Folgen haben und die Gräben in unserer Gesellschaft weiter vertiefen.

Ich hatte immer gedacht, ein grosses und schlagartiges Ereignis könnte ein Umdenken auslösen und Veränderungen zu Gunsten des Klima-Schutzes lostreten. Doch da habe ich mich ganz offensichtlich getäuscht. Jetzt geht es wie gesagt wieder um Maximierung in allen Bereichen. Wäre die Zeit der Corona-bedingten Einschränkungen tatsächlich ein Test für die Bereitschaft dauerhafte Anpassungen zu akzeptieren gewesen, müsste ich sagen: Gesellschaft, Wirtschaft und Politik durchgefallen!

Die Gefahr, dass es betreffend der Forderung der Klima-Bewegung bei schön formulierten Zielen bleibt, ist mit Corona nur grösser geworden. Daran werden auch ehrgeizige und vollmundige Programme der EU nichts ändern können. Die im Klima-Abkommen von Paris festgelegten Ziele sind als so genanntes Soft-Law eingeführt worden und müssen in vielen Ländern noch in konkrete Gesetze und Vorschriften überführt werden. Da sind also noch viele Hürden zu nehmen. Trotzdem sind sie mancherorts schon vor Gericht direkt einklagbar, was das Konfliktpotential zwischen Klima-Aktivisten, Politik und der breiten Masse der Gesellschaft nur verstärken wird.

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Generell wird es von Seiten der Aktivisten zu mehr Radikalisierung kommen, denn sie versuchen ja eine aus ihrer Sicht bevorstehende Katastrophe abzuwenden. Und weil von der Politik und den Unternehmen viel zu langsam konkret gehandelt wird, treibt dies ihren Frust-Level verständlicherweise nach oben. Wobei ich auch zugeben muss, dass ich im Kern die Anliegen der Klima-Aktivisten für berechtigt halte. Ich teile jedoch den Extremismus von manchen ihrer Exponenten nicht. Und auch über die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft die Ziele erreichen wollen, besteht aus meiner Sicht noch viel Diskussionsbedarf.

Die Klima-Bewegung und die Politiker, die sich ihre Forderungen zu eigen machen, werden - das ist mein persönliches Fazit - an Egoismus und Gleichgültigkeit der breiten Masse scheitern. Das ist eigentlich absurd, denn es geht um unsere Lebensgrundlagen auf diesem Planeten und die können doch niemandem völlig gleichgültig sein.

Diese menschlichen Eigenschaften haben wir im Corona-Lockdown und bei den schrittweisen Lockerungen zu genüge erlebt. Und um nicht als komplett arrogant und abgehoben rüberzukommen - ich kann mich selber ehrlich gesagt davon auch nicht ganz ausnehmen, denn auch ich will jetzt mein Leben gestalten, konsumieren und meinen Interessen nachgehen.