In den vergangenen Jahren habe ich intensiv zu Themen rund um Marketing und Public Relations im Internet gebloggt. Da ging es um Fragen wie "Wie sollen Unternehmen und Marken das Social Web – also Facebook, Twitter oder Blogs – nutzen, um mit ihren Kunden zu kommunizieren?" oder "Wie beeinflussen online gefundene Informationen die Entscheidungen von Kunden, wenn sie sich etwas Neues kaufen wollen?"
Im Rahmen von hitzestau.com pflegen wir den direkten Kontakt zu verschiedenen Unternehmen. Dabei ist es schön zu sehen, dass Ratschläge, die ich als Blogger oder als Referent bei Vorträgen in den letzten Jahren den Marketing-Verantwortlichen ans Herz gelegt habe, bei manchen Firmen auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Auch wenn der Blog von damals unterdessen nicht mehr online ist, jucken mich hin und wieder Fragestellungen wie die oben zitierten unter den Fingern, insbesondere wenn der gute Ruf einer etablierten Marke akut bedroht zu sein scheint.
Die Rede ist aus aktuellem Anlass natürlich von Findus. Weil für die Herstellung von Lasagne Pferdefleisch statt Rind verwendet wurde, ist die Marke in Grossbritannien und anderen europäischen Ländern im Kreuzfeuer der Kritik. Lebensmittelhändler haben die Waren aus den Regalen geräumt.
Für uns Konsumenten ist die ganze Geschichte nicht nur eklig, sondern auch unübersichtlich. Findus ist nicht überall Findus, um es mal so zu sagen. So ist man beispielsweise auf der Webseite von Findus Schweiz sehr darum bemüht, sich vom "ausländischen" Fleischskandal abzugrenzen:
Findus Schweiz gehört zur Nestlé-Gruppe und hat keinerlei Verbindungen zu Findus Grossbritannien oder Findus in anderen Ländern. Sämtliche Importe von Findus-Produkten, die nicht aus dem Haue Nestlé stammen, sind in der Schweiz nicht erlaubt. Quelle: findus.ch
Screenshot. Quelle: findus.ch
Alles klar? – Unser Findus ist in der Schweiz ist also nicht dasselbe Findus wie in Frankreich oder England, auch wenn das Logo gleich aussieht. Wie man als Konsument da zu den Versprechen einer Marke Vertrauen haben soll, ist mir nicht klar. Dieses Marken-Durcheinander hat seinen Ursprung in der Firmengeschichte von Findus, die man leider nicht auf der Webseite von Findus selber erzählt bekommt, sondern in der Wikipedia. Ich probiere hier die wichtigsten Fakten kurz zusammen zu fassen:
"Findus" geht auf eine Schokoladenfabrik namens "Marabou" zurück, die 1916 in Schweden gegründet wurde. Da nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Schokolade nicht mehr so gefragt war, spezialisierte man sich auf die Konservierung von Lebensmitteln. Im Herbst 1945 boten in Stockholm die ersten Läden tiefgekühlte Lebensmittel der Marke "Findus" an. Für den Vertrieb in anderen europäischen Ländern wurde 1959 die Findus International AG gegründet. Diese wiederum wurde ein paar Jahre später an den Schweizer Nestlé-Konzern verkauft. Ende 1990er Jahre begann das Durcheinander, als Nestlé die Rechte an der Marke weiter verkaufte. Für mehrere europäische Länder gingen die Rechte an die Investoren EQT Partners, in Grossbritannien übernahm ein ehemaliger Findus-Manager das Geschäft auf der Insel. Für die Schweiz bliebt Findus bei Nestlé.
Wenn man die aktuellen Medienberichte der letzten Wochen verfolgt, stellt man fest, dass Produkte mit dem Namen "Findus" in verschiedenen Ländern von mehreren Auftragsherstellern produziert werden. Eine "Findus-Fabrik" im klassischen Sinne gibt es wohl nirgends mehr. "Findus" ist eine ausgehöhlte Marke ohne eigene Substanz geworden, die man auf die Packung einer Lasagne drucken darf, wenn man die Rechte gekauft hat. Ein Unternehmen, das bisher im Hintergrund gewirtschaftet hat, ist im Zuge des aktuellen Skandals ins Rampenlicht gezerrt worden: Die Firma Comigel mit Sitz im französischen Metz, produzierte die fragliche Findus-Lasagne für Grossbritannien. Ob Zufall oder nicht, die Webseite unter www.comigel.com ist seit Tagen offline.
Screenshot. Quelle: comigel.com
Noch schlimmer ist es natürlich für die Marke Findus selbst. Schlussendlich muss der Kunde am Kühlregal eben eine Findus-Packung in die Hand nehmen – oder es bleiben lassen. Egal ob Findus Schweiz wo anders produziert als bei Comigel, der Schaden für alle Findus-Marken ist erst mal da. Da sich Findus auf mindestens drei unterschiedliche Besitzer aufteilt, gibt es natürlich auch keine einheitliche Kommunikationsstrategie, um verunsicherte Kunden zu informieren und zu beruhigen. Jeder kocht seine eigene Suppe und grenzt sich vom Findus im Nachbarland ab. Vertrauen gewinnt man so nur schlecht zurück.
Ein Verwirrspiel bieten aber auch Behörden und die Medienberichterstattung. Auch dies fällt in den Augen der Konsumenten schlussendlich auf die Marke Findus zurück, auch wenn sie darauf direkt keinen Einfluss hat. Zu Anfang ging es noch darum, dass das Pferdefleisch Medikamentenspuren enthalten würde und somit für den Verzehr ungeeignet sei. Unterdessen geht es nur noch darum, ob Pferdefleisch enthalten ist oder nicht. Dessen Qualität spielt keine Rolle mehr. So meldete der Schweizer Tagesanzeiger am 12.02.2013, dass die Schweiz nicht betroffen sei und berief sich dabei auf das Bundesamt für Gesundheit BAG. Der Grossverteiler Coop liess trotzdem seine Lasagne einer Eigenmarke aus den Regalen nehmen und testen, da diese ebenfalls bei Comigel hergestellt wurde.
Screenshot. Quelle: tagesanzeiger.ch
Gestern Donnerstag platze dann die Bombe. Die Lasagne von Coop enthielt doch Pferdefleisch, wie unter anderem 20 Minuten Online berichtete. Pikanterweise hatte Nestlé Schweiz für seinen Schweizer Teil von Findus bereits eine Banner-Kampagne am Laufen, in der die Schweizer Herkunft ihres Rindfleisches betont wurde. Damit ist das Verwirrspiel für den Konsumenten perfekt.
Screenshot. Quelle: 20min.ch
Unterdessen hat sicher jeder von uns seine eigenen Assoziationen zu Pferdefleisch und Findus-Lasagne. Mit Online Monitoring-Tools lässt sich erfassen, was generell im Internet zu einem Thema alles so veröffentlicht wird. Die Grafik unten zeigt, mit welchen Begriffen das Stichwort "Findus" aktuell in Social Media sowie auf Blogs und Newsseiten in Verbindung gebracht wird. Bei Assoziationen wie "Lasagne – Pferdefleisch – Lebensmittelaufsicht" müssten eigentlich jedem Marketing-Chef die Haare zu Berge stehen.
Quelle: Netbreeze
Die ganze Geschichte um Findus ist ein Paradebeispiel, wie man es in der Industrie vielerorts antrifft. Viele Markenprodukte werden heute von Dritt- und Auftragsherstellern produziert. Das muss ja nicht grundsätzlich schlecht sein. Bei Unterhaltungselektronik haben wir uns unterdessen dran gewöhnt. So produziert zum Beispiel das taiwanesische Unternehmen Foxconn für Apple die begehrten Gadgets. Immerhin hat Apple als Marke ein weltweit einheitliches Auftreten, ganz im Gegensatz zu Findus.
Wer eine Marke auf verschiedene Eigentümer aufsplittert und ein Netz von Zulieferern und Subunternehmen quer durch ganz Europa aufspannt, muss sich am Ende nicht wundern, wenn sich der Kunde verunsichert abwendet und Schaden, der wo anders angerichtet wurde, auf einen selber zurückfällt. Sicher, die Aufregung um Findus wird wieder abebben, aber ich denke, die Marke wird eine rechte Zeit beschädigt bleiben und die Kunden werden sich mit Kaufen zurückhalten. Es ist schlicht nicht mehr nachvollziehbar, wo die Ware überhaupt herkommt und wer sie hergestellt hat. Wer will garantieren, dass beispielsweise eine in Deutschland angebotene Findus-Lasagne nicht über einen holländischen Zwischenhändler aus Frankreich importiert wurde?
Als Fazit bleiben für mich zwei Schlüsse aus der ganzen Geschichte: Wenn man als Unternehmen eine starke Marke haben will, darf nicht man nicht Anteile daran an Dritte verkaufen und damit die Kontrolle über das Ganze verlieren. Und: Lasagne schmeckt selber gemacht immer am besten.
25.06.2013 Update: Link zur Webseite von Comigel entfernt (Firma hat Betrieb eingestellt). "Buzz" Live-Grafik entfernt, weil Anbieter Netbreeze diesen Dienst eingestellt hat.