Immer weniger Menschen sind Mitglieder einer Kirche, auch die Anzahl der aktiven Gottesdienstbesucher ist seit Jahren rückläufig. "Glauben" wir deshalb weniger – oder orientieren wir uns einfach an anderen Dingen, als diejenigen über die ein Priester oder Pfarrer in seiner Sonntagspredigt spricht?
Besonders kritisch eingestellte Zeitgenossen könnten jetzt einwerfen, unsere dauerhafte Beschäftigung mit Smartphones habe etwas von einem übereifrigen Götzendienst und das Streben nach ständig neuen Modellen mit mehr Leistung sei nichts anderes als die Suche nach Erlösung. So spricht man besonders gerne von "Apple-Jüngern", wobei auch andere Tech-Giganten genauso ihre treuen und begeisterten Kunden haben.
Aber auch die weniger technik-affinen unter uns haben eine breite Auswahl an Glaubensrichtungen, denen sie mit unterschiedlichem Eifer nachgehen können. Denn ein moderner Glaube ist nicht nur passive Anbetung, er verbindet sich oft mit aktivem Engagement, einer Neu-Ausrichtung des Lebensstils und – noch viel wichtiger – mit einem schon fast missionarischen Eifer, andere zu konvertieren und zu neuen Anhängern zu machen. Wer sich einer dieser neuen Glaubensrichtungen nicht anschliesst oder sie öffentlich kritisiert, muss mit ewiger Verdammnis rechnen.
Mit der Aussicht auf ewige Verdammnis kann ich gut leben, mit der Tendenz der neuen Religionen in den Alltag aller Menschen einzugreifen, jedoch weniger. Nicht ohne Grund haben wir in der Schweiz eine (weitgehende) Trennung von Kirche und Staat, die neuen Religionen kümmert dies jedoch wenig. Im Gegenteil, sie sind seht aktiv in der Politik auf allen Ebenen und bedienen sich auch bei den Instrumenten der direkten Demokratie.
Ein Beispiel dafür ist alles, was mit dem Thema Ernährung und dem Umgang mit Lebensmitteln zu tun hat. Hier treten in letzter Zeit immer mehr Gruppierungen in Erscheinung, die ihre Anliegen mit religiösem Eifer und Extremismus bearbeiten. Veganer attackieren Metzgereien oder Restaurants und wenn ein Lebensmittelladen abgelaufene Produkte entsorgt, findet sich sicher eine "Schneeflocke", die dies öffentlich anprangert und einen Shitstorm auslösen will, um in der breiten Bevölkerung "mehr Bewusstsein" zu schaffen.
In der Schweiz sind die kommenden Volksabstimmungen über die so genannte "Fair-Food-Initiative" und die Volksinitiative "Für Ernährungssouveränität" einer der politischen Höhepunkte für die Anhänger der Food-Religionen. Beide geben vor, gesunde Lebensmittel zu wollen, die nach hohen ökologischen Standards hergestellt wurden.
Doch wie immer bei Religionen, ist dies nur Augenwischerei, um die Anhänger – und in diesem Fall auch die Stimmbürger – zu täuschen und für das Anliegen zu gewinnen. Es geht um Protektionismus für die eigene Landwirtschaft und um das Machen von Vorschriften für den Alltag, was bei uns noch auf dem Teller landen darf und was nicht. Eine kleine Gruppierung versucht via die beiden Initiativen, der gesamten Schweizer Bevölkerung ihre Ideologien aufzuzwingen. Und dies auch ohne Rücksicht auf Gering-Verdiener und sozial Schwache, die sich die steigenden Lebensmittelpreise schlicht nicht leisten werden können.
Die Liste der "neuen Religionen" liesse sich noch beliebig fortsetzen: der Kampf gegen den Klimawandel, die Ausrichtung der Gesellschaft auf eine feministische Sicht- und Denkweise oder die Überzeugung jeden Arbeits- und Wirtschaftsmigranten bei uns in Westeuropa aufnehmen zu wollen. Ich denke, damit ist genug Stoff für weitere Kolumnen-Themen vorhanden.