Seit zwei Wochen haben wir das neue Nokia Lumia 1520 bei uns zum Testen – ohne Frage das grösste Smartphone, dass wir bisher in den Händen hatten. Mit seinem 6 Zoll-Display bietet es nicht nur ausreichend Fläche zum Lesen von Webseiten oder Mails, sondern auch zum Betrachten von Fotos. Noch bevor wir das 1520 mit allen Accounts und Logins zum Benutzen eingerichtet haben, hat uns zuerst die Kameraleistung des Geräts interessiert. Als grosse Neuerung bietet das Lumia 1520 die Möglichkeit, neben dem bekannten JPEG-Format so genannte RAW-Bilder aufzunehmen. Das ist ein Feature, das bisher den teureren Kompaktkameras und Spiegelreflexkameras vorbehalten war.

RAW-Fotografie mit dem Nokia Lumia 1520

Die richtige App: "Nokia Camera"
Es war einiges an Internetrecherche notwendig, um herauszufinden, was es mit RAW beim Lumia 1520 auf sich hat: Das Betriebssystem war zwar auf dem aktuellsten Stand, die Apps jedoch nicht. Wie wir es von Nokia schon gewohnt waren, gibt es mehrere Apps auf dem Gerät um Bilder aufzunehmen. Für RAW-Bilder benötigt man "Nokia Camera", welche bei der Installation die bisherige "Nokia Pro Cam" ersetzt. Es war etwas verwirrend, dass wir erst manuell aus dem Store die passende App herunterladen mussten. Denn in der Werbung für das 1520 wird suggeriert, das Gerät beherrsche die Aufnahme von RAW-Bildern schon ab Werk.
Exkurs: Was bedeutet RAW?
Bevor wir uns die App und die damit gemachten Bilder näher anschauen, zuerst eine kurze Erklärung, was RAW eigentlich bedeutet und warum das für ein Smartphone so eine gewaltige Neuerung darstellt.
Wer mit Kompaktkameras oder Smartphones fotografiert, nimmt damit normalerweise JPEG-Bilder auf. Etwas anderes beherrschen die Geräte meistens nicht. Die Bilder werden bereits beim Abspeichern von der Kamerasoftware bearbeitet und komprimiert. Damit sind sie am ehesten mit dem fertig entwickelten Papierbild vergleichbar, wie man es von früher her kennt. Geht es um Nachbearbeitung in einem Bildbearbeitungsprogramm, hat man mit dem JPEG schlechte Karten: Wer schon JPEG-Bilder punkto Helligkeit, Farbton oder Schärfe stärker versucht hat zu verändern, wird schnell eine unliebsame Verschlechterung festgestellt haben: Bildrauschen, Pixelhaufen oder Körnigkeit machen sich bemerkbar.
RAW-Bilder sind das Pendant zum Negativ bei Fotografieren auf Film und werden deshalb auch als "digitale Negative" bezeichnet. Sie werden ohne Bearbeitung in der Kamera abgespeichert und können daher später sehr gut und umfangreich nachbearbeitet werden. Um RAW-Dateien nachzubearbeiten, braucht man eine dafür geeignete Software wie beispielsweise Adobe Photoshop. Es gibt auch Lösungen, die den gesamten Workflow vom Verwalten und Sortieren über die Nachbearbeitung bis hin zum Export für Fotobücher und Bildergalerien im Web abdecken. Wir bei hitzestau.com setzen dafür auf Adobe Lightroom. Wobei man korrekterweise sagen muss, dass es auch bei der Nachbearbeitung von RAW-Bilder Grenzen gibt: Aus unterbelichteten und unscharfen Bilder lassen sich am PC keine brauchbaren Bilder machen.
RAW-Bilder müssen nach der Bearbeitung – oder der "Entwicklung" um beim Konzept vom Filmnegativ zu bleiben – immer in ein Dateiformat wie JPEG oder PNG umgewandelt werden, damit sie im Web in einer Bildergalerie oder in einem Social Network veröffentlicht werden können. Da es für RAW-Dateien keinen einheitlichen Standard gibt, kann es sein, dass je nach Kamera-Hersteller oder -Typ manche RAW-Dateien vom Betriebssystem in einer Vorschau angezeigt werden können und andere nicht.
Nokia setzt auf DNG
Nokia hat sich für die RAW-Bilder für den Dateityp DNG entschieden. DNG ist ein von Adobe entwickelter Standard und steht für "Digital Negative". RAW-Bilder, die mit dem Lumia 1520 aufgenommen wurden, tragen also die Dateiendung ".dng".
Wie oben schon angedeutet, kann es bei der Anzeige im Datei-Explorer unter Windows oder im Finder von Mac OS X sein, dass RAW-Dateien nicht angezeigt werden können, weil sie vom Betriebssystem immer gerendert werden müssen. Für Windows bietet Adobe ein so genanntes DNG Codec Pack an, um dem Datei-Explorer und der Windows Fotoanzeige das Darstellen von DNG-Dateien zu ermöglichen. Die Version 2.0 wird von Adobe für Windows 7 angeboten, wobei sie bei uns auch unter Windows 8 ohne Probleme läuft. Wie es nach dem nächsten Update aussieht, muss sich erst noch zeigen.
Was bietet "Nokia Camera"?
Die App bietet drei Möglichkeiten an, Bilder abzuspeichern.
Die erste Variante nimmt die Bilder als JPEG mit einer Auflösung von 5 Megapixel (3072×1728) auf. Die zweite Variante generiert zwei JPEG mit unterschiedlichen Auflösungen (5 Megapixel und 16 Megapixel, 5376×3024). Wer RAW-Bilder aufnehmen will, muss die dritte Variante nehmen. Das DNG wird in der Auflösung von 16 Megapixel gespeichert, dazu wird ein kleines JPEG erstellt. Diese eignet sich zum sofortigen Ansehen auf dem Telefon und das Teilen via Social Networks oder SMS.
Standardmässig ist das 1520 nicht auf DNG eingestellt. Um aber alle fotografischen Möglichkeiten zu nutzen, empfehlen wir die Variante JPEG + DNG zu wählen. Es ist etwas schade, dass Nokia zwar die RAW-Fotografie mit dem 1520 in der Berichterstattung bewirbt, aber dann nicht als Standardeinstellung definiert. Wer die Foto-Qualitäten des Lumia 1520 wirklich nutzen will, ist mit DNG am besten beraten.

Die App ist sehr intuitiv zu bedienen und nutzt das Potential des grossen Display des 1520 voll aus. Im Gegensatz zu anderen Kamera-Apps bietet sie keine der bekannten Motivprogramme wie "Landschaft" oder "Dämmerung", sondern bildet die Einstellmöglichkeiten eines klassischen Fotoapparates nach: Für jede Aufnahme kann man Einstellungen wie Blitz, Weissabgleich, Fokus, Empfindlichkeit, Belichtungszeit und Belichtungskorrektur manuell vornehmen. Die Icons werden oben in dieser Reihenfolge angezeigt. Standardmässig ist alles auf "auto" eingestellt. Viele Aufnahmen haben wir mit den Standardeinstellungen gemacht und damit gut Ergebnisse erzielt.
Die praktischen Schiebereglern lassen sich sehr gut mit dem Daumen der rechten Hand bedienen, wenn man das 1520 mit beiden Händen festhält.
Als sehr wertvoll erwiesen hat sich die Belichtungskorrektur. Die Veränderungen am Bild – also heller oder dunkler – werden direkt auf dem Display angezeigt. Da die Kamera je nach Lichtverhältnissen die Tendenz hat, die Bilder etwas zu hell zu belichten, lässt sich dies mit der Belichtungskorrektur sehr gut und einfach ausgleichen.
Archangel von hitzestau
Beispielbilder JPEG – RAW
Schauen wir uns im folgenden ein paar Bilder an, die wir als JPEG und DNG aufgenommen habe, also mit der untersten der drei Einstellungs-Möglichkeiten.
Das obere Bild von jedem Motiv ist das JPEG und ist hier unbearbeitet (nur verkleinert) wiedergegeben. Die DNG-Dateien haben wir in Adobe Lightroom leicht bearbeitet und zwar bezüglich Kontrast, Helligkeit, Weissabgleich und Schärfe. Wir wollen hier nicht auf irgendwelchen Messdaten herumreiten, sondern uns geht darum zu zeigen, dass man auf Basis der RAW-Bilder die gemachten Aufnahmen sehr schön nachbearbeiten kann und je nach Motiv Stimmungen oder Details besser rüberbringen kann.
Monk-Trader von hitzestau
Bei dieser Aufnahme in einem eher dunklen und grossen Saal fällt auf, dass das Bild recht gut ausgeleuchtet ist. Beim RAW war es möglich, mehr Schärfe auf die Leinwände auf der Bühne zu geben und an der Decke mehr Details zum Vorschein zu bringen:
Hier hat die Software des Lumia 1520 es mit dem blauen Wasser beim JPEG etwas übertrieben. In der RAW-Aufnahme konnten wir die an dem Tag herrschende Lichtstimmung gut wiedergeben:
Das JPEG wirkt sehr kalt, der Weissabgleich war auf Automatik eingestellt. Beim RAW haben wir das etwas wärmere Licht der Abendsonne besser wiedergeben können. Zudem sind die Strukturen der Oberflächen besser erkennbar und schärfer gezeichnet:
Auch hier fallen beim JPEG die sehr satten Farben auf. Das RAW zeigt mehr Strukturen am Boden:
Beim JPEG versucht das Lumia 1520, den grauen Nachmittag etwas zu sehr aufzuhellen, vor allem in der Bildmitte. Das RAW ist gleichmässig grau und gibt die Stimmung zum Zeitpunkt der Aufnahme besser wieder:
Abgesehen von dem leuchtenden Weichensignal wirkt der Hintergrund beim JPEG sehr schwammig. Mit einer leichten Vignettierung und einem dunklen Verlaufsfilter von oben haben wir im untersten Bild den Fokus stärker auf das leuchtende Signal gelegt und die dunkle Umgebung gibt dem Bild mehr Dramatik:
Fazit
Mit der RAW-Option hebt Nokia die Smartphone-Fotografie auf einen neuen Level. Es ist spannend zu verfolgen, wie Nokia hier die Messlatte weiter nach oben schiebt und die technischen Möglichkeiten auslotet. Nokia macht damit den etablierten Kompaktkamera-Herstellern mächtig Druck, auch bei ihren Modellen RAW-Aufnahmen anzubieten. Mit dem Lumia 1520 und dem Lumia 1020 hat Nokia aktuell zwei Modelle im Programm, die RAW beherrschen. Das Smartphone wird damit zur RAW-fähigen Kamera, die man immer dabei hat.
Generell hat die Kamera im Lumia 1520 einen grossen Entwicklungsschritt nach vorne gemacht. Verglichen mit den Fotos, die wir mit dem Lumia 925 – unserem letzten Testgerät – gemacht haben, merkt man dies vor allem bei Aufnahmen mit schlechten Lichtverhältnissen und grauem Himmel. Nokia hat einiges in die Weiterentwicklung von Chip und Software investiert. Auch Aufnahmen in Innenräumen mit Blitzlicht gelingen überraschend gut, wie Ihr auch in den Event-Berichten von Synology und dem Canon Professional Forum sehen könnt. Die Aufnahmen sind sehr gut ausgeleuchtet und der Blitz erzeugt keinen "Kegeleffekt".
Archangel von hitzestau