Lex Netflix ist eine gefährliche Mogelpackung

Lex Netflix ist eine gefährliche Mogelpackung

Von Hitzestau - 07.04.2022

Luc Conrad versus Walter White oder “Der Bestatter” versus “Breaking Bad”? Als Streaming-Event bleibt uns dieser ultimative Showdown zum Glück erspart. Im Schweizer Katalog von Netflix könnte Luc Conrad allerdings bald zumindest mit einem Vorteil in den Ring steigen, denn er ist ein Schweizer.

Dass wäre dann der Fall, wenn wir am 15. Mai 2022 das “Filmgesetz” (Bundesgesetzes über Filmproduktion und Filmkultur) in einer Referendums-Abstimmung annehmen. Populär geworden ist die neue Regelung unter dem Namen “Lex Netflix”, auch wenn sie natürlich für alle Streaming-Dienste wie Disney+, Amazon Prime Video, Sky oder AppleTV+ gelten soll. Ebenfalls betroffen sind die so genannten Schweizer Werbefenster der ausländischen Privatsender.

Die Schweiz ist berühmt für ihre schönen Landschaften. Berge, Täler, Seen - die Medienlandschaft kann damit sicher nicht gemeint sein. Zu dominant ist bezüglich Fernsehen die gesetzlich zementierte Vormachtstellung der SRG und der von ihr produzierten “Swissness”. Als es mit der “No Billag”-Volksinitiative darum ging, die Zwangsgebühren für Radio- und Fernsehen abzuschaffen, haben wir mehrfach darüber geschrieben. Auch wenn die Initiative im Jahre 2018 von einer grossen Mehrheit abgelehnt wurde, geht es jetzt mit der Abstimmung über das Filmgesetz wieder in eine ähnliche Richtung.

Diesmal sollen Unternehmen, die in der Schweiz “Filme über elektronische Abruf- oder Abonnementsdienste anbieten” reguliert werden. Woher diese Schweizer Besessenheit kommt alles was mit Medien zu tun hat, immer irgendwie zwanghaft regulieren zu wollen, habe ich eh nie verstanden. Aber ganz offensichtlich hat auch die Politik gemerkt, dass sich die Fernseh-Gewohnheiten der Eidgenossen in den letzten Jahren geändert haben. Für mich ist das Grund genug mal wieder im Vorfeld einer Abstimmung in die Tasten zu greifen.

Ein Blick in den Gesetzestext zeigt schnell, was die wesentlichen Punkte sind über wir abstimmen: Die Streaming-Anbieter müssen sicherstellen, dass mindestens 30 Prozent der Filme in ihrem Katalog europäische Produktionen sind und diese besonders gekennzeichnet und für die Benutzer gut auffindbar sind. Zudem wird eine Investitionspflicht eingeführt. Das bedeutet, dass die Streaming-Anbieter jährlich mindestens vier Prozent ihrer Bruttoeinnahmen in der Schweiz in lokale Filmprojekte investieren oder eine Ersatzabgabe bezahlen müssen.

Das Gesetz ebnet aus meiner Sicht den Weg für eine weitere zwanghafte Förderung der Produktion von Schweizer Filmen ungeachtet ob es überhaupt interessierte Zuschauer gibt oder nicht. Der Schweizer Film wird bereits mit Steuergeldern über die staatliche Filmförderung und über die SRG-Zwangsgebühren mitfinanziert. Mit dem neuen Filmgesetz würden Schweizerinnen und Schweizer zum dritten Mal für dieselbe Sache zur Kasse gebeten, denn die Streaming-Anbieter werden die Mehrkosten für eine Präsenz in der Schweiz sicher auf die Kunden abwälzen. Dabei hat die Schweiz im internationalen Vergleich schon heute sehr hohe Abo-Kosten. Übrigens, das gleiche System was jetzt für Filme und Serien gelten soll, möchten gewisse Kreise in der Schweiz auch auf die Musik-Branche übertragen und entsprechende Vorschriften für Spotify, Apple Music und andere Anbieter erlassen. Eine Interpellation ist aktuell in Bern in der parlamentarischen Behandlung.

Ich argumentieren zwar nicht gerne mit “bürgerlichen” Schlagworten, aber das zur Abstimmung stehende Filmgesetz ist aus meiner Sicht auch ein Eingriff die Wirtschaftsfreiheit der Streaming-Anbieter. Es ist in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse sich global die vielversprechendsten Talente und Geschichten für ihren Katalog zu suchen und damit bei den Zuschauern zu punkten, wenn sich diese gut unterhalten fühlen - oder zu scheitern. Fixe Quoten nach regionalen Kriterien steigern sicher nicht die Qualität des Angebots. Generell sind Quoten nie die Lösung für ein Problem, sie sind nur ein Mittel um Entwicklungen in eine bestimmte Richtung zu steuern, die von gewissen Leuten als vorteilhaft oder wünschenswert angesehen wird. Und kommt hinzu, dass die Bezeichnung “Europa” eine reine geografische Herkunftsangabe ist und nichts über die inhaltliche Qualität aussagt. Als Zuschauer erwarte ich gute Unterhaltung, woher diese kommt, ist für mich zweitrangig.

Das Gesetz ist aber auch eine Missachtung des Wunschs der Konsumenten - und da zähle ich mich explizit dazu - durch ein Medienangebot surfen zu können, ohne das man von Inhalten der Marke SRG belästigt wird. Ich bin für meine Unterhaltungs- und Informationsbedürfnisse nicht mehr auf das lineare Fernsehen generell oder die SRG-Programme im speziellen angewiesen. Und nun sollen mich deren Inhalte auch bitte nicht zu Disney+ oder Amazon Prime Video verfolgen! Dafür bezahle ich dort keine Abo-Gebühren.

Für Schweizer Inhalte gibt es Play Suisse, das Streaming-Portal der SRG. Damit sind diese für alle zugänglich und jederzeit abrufbar und es gibt keinen Grund, mit den Inhalten auch noch die Kataloge andere Streaming-Anbieter zu verstopfen. Durch die Quotenregelung besteht im Gegenteil die Gefahr, dass interessante internationale Inhalte für Schweizer Zuschauer aussen vor bleiben, weil sonst das Verhältnis von internationalen zu europäischen Produktionen nicht mehr stimmt.

In der Argumentation der Befürworter des Gesetzes geht es wie bei der No Billag-Abstimmung schon wieder um die “Abwehr von Feindsendern” und unerwünschte “Abflüsse von Geld ins Ausland”. Streaming-Anbieter werden unterschwellig als eine unerwünschte Quelle der Unterhaltung angesehen, da ihre Inhalte nicht Schweizer Werte darstellen und die Wertschöpfung im Ausland stattfindet.

Diese Art der Argumentation ist mich ein weiterer Grund, das Gesetz abzulehnen. Sie ist borniert, rückwärtsgewandt und realitätsfremd. Es ist eine Tatsache, dass ein Grossteil der Mainstream-Unterhaltung, die in der Schweiz konsumiert wird, ihren Ursprung im Ausland oder sogar ausserhalb von Europa hat. In einer Zeit, in der Nationalismus bei vielen als verpönt gilt, finde ich die Argumentation der Befürworter sogar sehr befremdlich, denn sie passt eher zu einem dystopischen und autokratischen Staat als zu einer freien Gesellschaft: “Das neue Filmgesetz ermöglicht mehr Filmstoff, der nah an unseren Leben, unserer Kultur und unserem Land ist. Mehr Schweiz bei Film und Serien bedeutet eine Stärkung unserer Identität” liest man auf der Webseite des Befürworter-Komitees.

Die im Gesetz verankerte Förderung der Angebots-Vielfalt wird mit den neu erlassenen Vorschriften nicht erreicht. Im Gegenteil, es ist reines Sand-in-die-Augen-streuen, um den Stimmbürger in die Irre zu führen. Streaming-Plattformen sollen sich nach meinem Verständnis durch die Inhalte in ihren Kataloge unterscheiden und profilieren. Es macht daher keinen Sinn Gesetze zu erlassen, dass ein bestimmter Teil des Angebots bei allen Anbietern gleich sein muss.

Im Kundeninteresse ist dies sicher nicht, aber das steht ja auch gar nicht zur Debatte. Nein, es ist wieder mal die Sternstunde derjenigen, die sich an den Schweinetrögen der Kultur-Förderung mit so Schlagworten wie “regionale Vielfalt” und “schweizerische Besonderheiten” laben. Internationale Plattformen sind nicht dazu da, Befindlichkeiten des Schweizer Selbstbildes abzubilden oder nicht profitable Kulturprojekte zu fördern. Dafür gibt es Institutionen wie die SRG. Disney+ und Co. sollen bitte nicht in Light-Versionen nach SRG-Vorbild umgebaut werden.

Oder heisst Vielfalt für die Befürworter einfach Nicht-Amerikanisch? Ein Anti-USA Reflex wäre nichts neues, schliesslich gelten europäische Produktionen ja oft als pädagogisch und künstlerisch wertvoll, während Hollywood uns “nur” unterhalten will. Immerhin hiess es in einer früheren Version der Argumente des Pro-Komitees “die im Filmgesetz verankerte Mindestquote von 30% europäischer Produktionen sorgt dafür, dass wir keinen amerikanischen Einheitsbrei vorgesetzt bekommen.” Aktuell ist jedoch nur noch von “mehr inhaltliche und kulturelle Vielfalt” zu lesen. Aufgedeckt haben dies Journalisten von 20 Minuten. Es zeugt schon von extremer Arroganz und Überheblichkeit zu meinen, dass nur europäische Produktionen eine inhaltliche Vielfalt garantieren können.

Ich hoffe, dass Ihr Eure Stimme am 15. Mai abgeben werdet. Mehr Argumente gegen das Gesetz findet Ihr auch auf filmgesetznein.ch. Zugegeben, vieles was an neuen Serien und Filmen aus den USA kommt, gefällt mir auch nicht, aber Wokeness und Diversity sind nicht Gegenstand der aktuellen Abstimmung. Es geht um zwanghaft auf Europa und Schweiz gebürstete Streaming-Kataloge und grössere Förder-Töpfe für eine selbsternannte Elite, welche sich selbst und die Schweiz für das kulturelle Zentrum des Universums hält. Und da sage ich klar NEIN!

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