Die globale Logistik ist aus dem Takt geraten. Statt “just in time” heisst es heute oft “all the time in the world”. Damit kämpft nicht nur wer eine neue Grafikkarte kaufen will - auch die Beschaffung von Ersatzteilen kann zum Spiessrutenlauf werden.
So ging es auch uns, als wir kurz vor Ostern voller guter Absichten den PC einer Bekannten reinigten. Wir bauten ihre ASUS GTX 1070 aus, um sie mit Druckluft aus dem Kompressor zu reinigen - und da passierte es.
Ein Flügel des vordersten Lüfters war abgebrochen, vielleicht war es Materialermüdung im Plastik oder wir waren etwas unvorsichtig - aber eigentlich spielt es keine Rolle: Ein kaputter Lüfter bedeutete keine funktionierende Karte und somit auch keinen laufenden PC.
Da man so einen Defekt mit Kleber nicht richtig reparieren kann, war für uns die Herausforderung schnell einen Ersatz zu beschaffen, damit Grafikkarte und PC wieder einsatzbereit sind.
Eigentlich sollte es kein allzu grosses Problem sein, die üblichen Verdächtigen wie Amazon, Ebay oder AliExpress haben so ziemlich alles im Sortiment. Bestellt, geliefert, Problem gelöst - doch seit einiger Zeit ist alles anders. Jederzeit alles beschaffen und kaufen zu können ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Das fehlende WC-Papier in den Geschäften war letztes Jahr nur der Vorgeschmack.
Der erste Schritt war natürlich die passenden Lüfter zu finden. Lüfter gibt es in verschiedensten Grössen und Formen - wobei die korrekte Bezeichnung für die Lüfter für die ASUS STRIX GTX 1070 zu identifizieren war nicht so sehr das Problem. Hier hat uns die Webseite www.gpufanreplacement.com geholfen. Bei den verschiedenen Händlern oder Verkäufern auf Ebay mussten wir uns dann darauf verlassen, dass die jeweiligen Artikelbezeichnungen oder Kompatibilitätsangaben auch korrekt waren. Für die von uns benötigten Lüfter werden verschiedene Produktbezeichnungen verwendet, je nachdem ob sie einzeln oder im 3er-Komplettset angeboten werden. Und wir mussten beachten, dass die drei Lüfter nicht identisch sind, also nicht einfach in ihren Positionen vertauscht werden können.
Das grössere Problem war, ihr ahnt es schon, die Beschaffung. Neben dem Rest-Risiko die falschen Lüfter zu bestellen, was die Sache auch unschön in die Länge ziehen würde, ging es um die Lieferzeit - also wie lange würde es dauern, bis die Lüfter bei uns eintreffen? Je länger dies gehen würde, desto länger müsste unsere Bekannte auf ihren PC verzichten. Die Zeit war also unser grösster Feind bei dieser ganzen Angelegenheit.
Wir haben verschiedene Online-Shops gefunden, welche die passenden Lüfter im Sortiment haben. Aber auch wenn diese ihren Sitz in Europa hatten, erfolgte die eigentliche Lieferung aus China. Auch die diversen Sofort-Kauf-Angebote auf Ebay waren immer mit einer Auslieferung aus China verknüpft. Eine Alternative wäre es gewesen, die Lüfter aus den USA per Express kommen zu lassen - das hätte dann mit Versand und Zollgebühren rund 250 Schweizer Franken gekostet. Diese Summe kann man getrost als ziemlich absurd bezeichnen, wenn man bedenkt, dass die Lüfter selbst nur etwa 45 Franken kosten.
Eine Lieferung aus China hätte auf jeden Fall bedeutet, einen Monat und länger warten zu müssen, unabhängig davon welche Lieferoption wir gewählt hätten. Wir haben in der Vergangenheit schon mehrmals Sachen von AliExpress bestellt gehabt, meist mit einer Lieferzeit von rund vier oder fünf Wochen. Einmal ging eine Sendung wieder zurück an den Absender, ohne dass sie je bei uns zugestellt worden wäre. Aber aktuell sind aus unserer Sicht Sendungen aus China nicht oder nur sehr unzuverlässig kalkulierbar, vor allem auch kleine Postpakete die man als Privatperson bestellt.
Aber was steckt da dahinter? Es kann doch nicht sein, dass man auf ein eigentlich kleiner und banales Ersatzteil wie einen Lüfter wochenlang warten muss! Natürlich ist die internationale Arbeitsteilung heute so, dass immer mehr effektive Produktion in Asien stattfindet. Bei Beschaffung der neuen Grafikkarten-Lüfter bekamen wir die Auswirkungen zu spüren, dass die ganze internationale Logistik und die Lieferketten durch die Corona-Pandemie aus dem eingespielten Gleichgewicht geraten sind. Oder um es anders auszudrücken: Es ist Sand ins bisher so gut geölte Getriebe der globalen Weltwirtschaft geraten. Im Gegensatz zu Produkten wie Gaming-Konsolen, Grafikkarten oder generell Chips und Prozessoren spielen bei unseren Lüftern die Scalper und Miner, welche den Markt leerkaufen, jedoch keine Rolle.
Auf die Frage, wie man als Einzel-Person damit umgehen kann, haben wir auch keine Patent-Lösung bereit. Unsere Problem der Lüfter-Beschaffung ist schliesslich nur ein Einzelfall, bei dem wir auch noch grosses Glück hatten. Wir haben einen Lieferanten aus Deutschland gefunden, der auch direkt aus Deutschland ausgeliefert hat, so dass die Bauteile innert relativ kurzer Zeit bei uns angekommen sind. Als zusätzliche Komplikation kam dann aber noch die Grenze dazu: eine Lieferung zu uns in die Schweiz wäre länger gegangen und teuerer gewesen. Wir haben trotz den geltenden Einreisebestimmungen die Lüfter an eine deutsche Lieferadresse schicken lassen und das Paket dann dort selber abgeholt.
Aber klar hat man nicht immer so viel Glück, es kommt halt auch drauf an, was man gerade beschaffen muss - und man kann sich auch nicht aussuchen, was als nächstes kaputt geht.
Als die Lüfter bei uns eingetroffen waren, hatten wir dann auch die Gewissheit, dass wir die richtigen Ersatzteile bestellt halten. Somit stand dann dem Austausch aller drei Lüfter im Kühlkörper der Grafikkarte auch nichts mehr im Weg.
Wir haben dabei die Gelegenheit genutzt und auch die Wärmeleitpaste sowie die Wärmeleitpads ausgetauscht. Die so aufgefrischte Grafikkarte unserer Bekannten erlebt damit einen “zweiten Frühling”, auch wenn die Hardware schon mehrere Jahre alt ist und einige Betriebsstunden hinter sich hat. Aber gerade bei der aktuellen Marktsituation sollte man sich glücklich schätzen, überhaupt eine Grafikkarte zu besitzen und sie hegen und pflegen…