Weekly - Filmförderung ausser Rand und Band

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Filmförderung ausser Rand und Band

Von Hitzestau - 17.06.2019

Stellt Euch folgendes vor: Ein krebskranker Chemielehrer aus Biel beginnt, mit Hanf versetztes Käsefondue zu kochen, um seine Therapie zu bezahlen und seiner Familie etwas hinterlassen zu können. Zeitgleich wird Wilhelm “Hüter der Innerschweiz” vom Haus Tell an den Hauptsitz des europäischen Imperators berufen. Seine Reise führt ihn am ältesten Kernkraftwerk der Welt vorbei, bei dem ein schrecklicher Unfall geschehen ist, der bisher vor der Öffentlichkeit jedoch geheim gehalten werden konnte. Wenn Wilhelm nicht vorsichtig ist, könnte er von den gewissenlosen Landvögten zum unentgeltlichen Frontdienst verpflichtet werden um bei den Aufräumungsarbeiten in der Region um das Kraftwerk seine Gesundheit riskieren… Wird die sagenhafte Strahlenkrankheit seinen unbändigen Freiheitsdrang brechen können und wird er seine geliebten Berggipfel jemals wiedersehen?

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Wir wollen aber hier nicht spoilern, schliesslich sind alle angesprochenen Produktionen wie Ein Lehrer auf Abwegen, Der Rebell aus dem Tal und Beznau, Schicksalsjahre einer Bäuerin beim Streaming-Anbieter Deiner Wahl jederzeit abrufbar.

Was wie eine cineastische Horror-Vision klingt, könnte aber schon bald bei uns in der Schweiz Wirklichkeit werden. In der geplanten Revision des Filmgesetzes (FiG) sieht der Bund neue Vorschriften für Streaming- und Video on Demand-Dienste vor: Sie müssen sicherstellen, dass ihr Angebot zu mindestens 30 Prozent aus europäischen Filmen besteht und dass diese für den Kunden besonders gekennzeichnet und gut auffindbar sind. Zudem müssen sie jährlich mindestens vier Prozent ihrer Bruttoeinnahmen für das unabhängige Schweizer Filmschaffen aufwenden oder eine entsprechende Ersatzabgabe bezahlen. Die Unternehmen müssen dem Bund melden, wie oft welcher Film bei ihnen angesehen wurde. Diese Daten werden dann periodisch veröffentlicht. Als “Filme” gelten gemäss dem Bundesrat nur Produktionen wie Spiel-, Animations- oder Dokumentarfilme, die auch im Kino gezeigt werden könnten. Explizit ausgenommen sein sollen Serien und Sitcoms. Die 30 Prozent-Regel übernimmt der Bund aus der Europäischen Union, die bereits beschlossen hat, dass Streaming-Anbieter eine gewisse Menge an europäischen Produktionen im Angebot haben müssen. Schweizer Serien wie Der Bestatter oder Lüthi und Blanc werden also nicht in Frage kommen, um den Katalog aufzufüllen.

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Gewissen Schweizer Lobbyisten und Politiker gehen aber auch diese Bestimmungen noch nicht weit genug. Sie fordern, dass explizit eine 20 Prozent-Quote für Schweizer Filme im Gesetz verankert wird. Für Joel Jent vom Branchenverband Swiss Fiction Movement soll damit die “Verfügbarkeit des Schweizer Films” nach der Auswertung im Kino und an Festivals sichergestellt werden. Für ihn geht es im Gespräch mit 20 Minuten darum, “wie wir unsere eigene Kultur gewichten, in einer Zeit, in der das kulturelle Angebot immer mehr von digitalen Giganten aus dem Silicon Valley bestimmt wird”.

Was vom Bund und von Schweizer Politiker gefordert wird, ist meiner Meinung nach nichts anderes als ein “kultureller Protektionismus”, der im Zeitgeist der Geistigen Landesverteidigung und einer romantisierten Heidi-Selbstwahrnehmung unseres Landes verankert ist. Und er grenzt an Ablehnung - um nicht zu sagen Hass - gegen amerikanische Konzerne, insbesondere aus dem Silicon Valley. Für mich ist das eine Form von kultureller Rassismus.

Und er ist so “typisch Schweiz”: Eine selbsternannte Führungs-Elite versucht der Bevölkerung einzureden, dass diese Anliegen von allgemeinem und staatstragendem Interesse wären, obwohl sie eigentlich nur ihre eigenen Vorteile bedienen. Und sie nennen es “Kultur”, verlangen Schutz und Förderung mit erpresstem Geld und positionieren gleichzeitig die ausländischen Anbieter als “Feindsender”. Sie lassen dabei ausser Acht, dass erfolgreiche Produktionen heute oft international abgestützt sind und sich auch der Geschmack des Publikums verändert hat. Ähnlich wie bei der Diskussion um die Daseinsberechtigung der SRG und der gesetzlich verankerten Zwangsgebühren im Zuge der “NoBillag-Initiative” geht es auch hier wieder um das Konzept einer kulturellen Selbstversorgung: Nur Schweizer Filmemacher können die “Swissness” in ihren Werken abbilden und das ist es auch, was das Publikum primär zu sehen hat. Publikumserfolge wie Game of Thrones oder Avengers: Endgame sind höchstens Ausdruck eines fehlgeleiteten Massengeschmacks, den es mit Bildungsprogrammen schon ab Stufe Kita langfristig zu korrigieren gilt.

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Welche Filme ein Anbieter in seinen Katalog aufnimmt und welche nicht, sollte zur unternehmerischen Freiheit gehören und dies muss er selber entscheiden können. Wenn er vom Staat gezwungen wird, ungeachtet ihrer Popularität gewisse Produktionen einzukaufen, passieren zwei Dinge: Für die Kunden geht der Abo-Preis nach oben, obwohl wir in der Schweiz schon die höchsten Preise haben im Vergleich zum Ausland. Kommt noch hinzu, dass bei uns der Katalog der Anbieter in der Regel nicht so umfangreich ist wie in anderen Ländern. Der Anbieter wird in den Schweizerischen “Service Public”-Sumpf hineingezogen. In diesem Fall die Förderung der einheimischen Filmindustrie - unabhängig davon, ob seine Kunden diese Produktionen überhaupt sehen wollen. Bezahlen müssen er, und schlussendlich die Kunden, auf jeden Fall.

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Genauer gesagt müssen sie ein weiteres mal bezahlen. Denn für Filmförderung und ganz allgemein für “Kulturschaffende” bezahlen wir heute schon auf vielfachen Wegen: Über die allgemeinen Steuern, die Fernsehgebühren, die Leerdatenträger-Abgabe und die SUISA-Gebühren. Kinoeintritte oder der Preis für das Kaufen oder Leihen der Disc- oder Digitalvariante sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Bund und SRG gehören in der Schweiz zu den grössten Filmförderern. Würde es nicht genügen, wenn zum Bespiel das Schweizer Fernsehen in einer Online-Mediathek alle Filme zur freien Verfügung bereitstellen müsste? Warum muss man damit jetzt auch noch private Anbieter behelligen? In der Schweiz hat man offenbar kein Problem damit, auch Anbietern ohne Leistungsauftrag aus dem Radio- und Fernsehgesetz vorzuschreiben, was sie ins Angebot aufnehmen müssen. Das riecht für mich stark nach Sozialismus.

So geht es auch hier nur wieder darum, bestehende Strukturen zu zementieren und ein neues Förderungs-“Kässeli” zu schaffen, weil das Zusammenspiel von Nachfrage, Publikumsgeschmack und Angebot es nicht schafft, den Schweizer Filmschaffenden die Beachtung zu verschaffen die sie angeblich verdienen. Bei den grossen Streaming-Anbietern wie Netflix der Amazon Prime verdienen aus Schweizer Sicht halt die “Falschen” das Geld. Also muss dies schnellstmöglich korrigiert werden, um die Geldflüsse wieder in die Taschen des Schweizer Staates und der einheimischen Produzenten umzuleiten.

Von: doomu
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Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten - die Schweiz ist meiner Meinung nach nun mal kein Filmland. Werke wie Die Schweizermacher oder Achtung, fertig, Charlie! machen aus unserem Land noch nicht das Hollywood der Alpen. Das will man aber auch gar nicht sein, Filme zur reinen Unterhaltung sind bei uns sowieso verpönt. Sie müssen immer pädagogisch wertvoll sein. Und in ihrer Machart kommen sie unglaublich hölzern daher. Das liegt einerseits an dramaturgischen Defiziten und andererseits an schlecht geschriebenen Dialogen. So weiss man manchmal gar nicht, ob einem die Schauspieler oder die Zuschauer mehr Leid tun sollen. Die Schweiz soll die Finger vom Produzieren von Filmen - und auch von Fernsehserien - lassen. Mir ist auch kein Gesetz bekannt, dass in Nigeria die Produktion von einheimischem Käse zur Staatsaufgabe erklärt hat.

Von: naum
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Es entbehrt nicht einer gewissen perverse Ironie. Als Zuschauer nutzt man ja explizit Streaming-Anbieter, um dem gebührenfinanzierten Schwachsinn aus der SRG-Küche zu entkommen. Aber scheinbar gibt es kein Entrinnen. In der dünnen Alpenluft des Hochgebirges wird dich keiner Schreien hören...

Auch neue Anbieter wie Apple und Disney werden dies zu spüren bekommen: Noch weiss man zu wenig über das geplante Angebot und die Expansionspläne in die Schweiz oder andere europäische Märkte. Disney+ soll primär die Disney-eigenen Franchises wie Star Wars oder Marvel bündeln - ob man in den USA dafür Verständnis hat, den Avengers einen “Captain Swiss” an die Seite stellen zu müssen, wird sich zeigen.

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Mit der erzwungenen Filmförderung setzt die Schweiz auf einen Mechanismus, der auch in der internationalen Handels- und Wirtschaftspolitik praktiziert wird. Es geht um den oft gepriesenen “Marktzugang”. Die Schweiz wirft eine der wenigen natürlichen Ressourcen die sie hat in die Waagschale: 8,5 Millionen Konsumenten - und wer diesen seine Filme zeigen will, muss zuerst dem Staat eine Gebühr abliefern und seinen Vasallen Tribut zollen. Das tönt nach Mittelalter - lang lebe der “Hüter der Innerschweiz”.

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